PRESS-SCHLAG
: Da blieb kein Auge trocken

■ Bundesliga-Absteiger Herta BSC tröstet sich bei seiner Jahresversammlung mit eigenartigem Galgenhumor

Mitgliederversammlungen von Fußballvereinen können — wie viele traurige Beispiele der Vergangenheit zeigen — würdelose, ja beschämende Veranstaltungen sein. Schön, daß sich eine so geschmacklose Darbietung für die Berliner Herthaner wie selbstverständlich verbot.

Gleich nach der Begrüßung kam Präsident Roloff auf Trauriges zu sprechen: „Der grausame Tod hat in den Hertha-Reihen zugeschlagen.“ Und man erhob sich zu einer Demonstration immerwährender Kameradschaft. Die folgende Beklommenheit wurde von Herrn Herzog gelockert, der die Streichung des Tagesordnungspunktes 5 (Haushaltsplan 1. Liga, Saison 91/92) vorschlug. Aber das Präsidium entgegnete, daß Herr Schatzmeister Strieck sich solche Mühe gemacht hätte und nun ruhig alles vorlesen dürfe.

Der Herr Präsident sprach anschließend von den Gründen für das sportliche Debakel, dabei sichtlich bemüht, seine tiefe Enttäuschung zu verbergen: Nicht nur die Stärke der Mannschaft wurde überschätzt, nein, „eine Tragödie breitete sich aus, weil Spieler gekauft wurden, die nie spielten. Und außerdem gab es unberechtigte Elfmeter-Entscheidungen.“ Vielleicht hätte der Posten „Schiedsrichtergeld“ von 3.145,49 Mark weiter aufgestockt werden müssen. Aber Präsident Roloff hob trotzig den Kopf und verkündete: „Die 100-Jahr-Feier im nächsten Jahr wird trotzdem in würdigem Rahmen abgehalten.“

Aber schließlich mußte er wieder über Unappetitliches reden, über die Schmutzkampagne der Presse gegen Hertha: „Es erscheinen häßliche und verwerfliche Artikel!“ rief er und fragte weltfremd: „Ist es denn so schwer, Gutes über den Verein zu schreiben?“ Und mancher Pressefrechling senkte tiefbeschämt sein Haupt.

Herr Strieck als nächster Redner suchte weiter nach Gründen für den Abstieg und fand die Winterpause: „Es ist eine Schweinerei, daß das letzte Saisonspiel vor Weihnachten nicht stattfand.“ Herr Quakertz machte Mut: „Kameraden, wir müssen fest dran glauben und uns am Riemen reißen!“ — womit er zum Bericht der Kegelabteilung kam.

Herr Holst, ein Ex-Präsident, sprach von Fehleinkäufen und falscher Planung, bedauerte die Nichtverpflichtung von Littbarski und rief dem Manager zu: „Freund Roder, du bist ein halbamputierter Mensch.“ Aber ein gerüttelt Maß an Mitschuld treffe auch Saddam Hussein, den Unhold, dessen Drohungen das italienische Trainingslager verhindert hätten.

Heiß diskutiert wurde auch von allen die Frage, ob Präsident Roloff wirklich gesagt hat: „Wer hier Präsident werden will, muß mir meine drei Millionen wiedergeben, die ich in den Verein steckte.“ Gemunkelt wurde außerdem über Herrn Stange aus Jena als neuem Hertha-Coach. Ein Mann, der schon die DDR-Nationalmannschaft zu ruhmreichen Niederlagen führte. Beantwortet wurde auch die Frage nach den Vereinsschulden (1,5 Millionen), worauf ein Fan die Versammlung tief rührte: „Alles verstehen“, sagte verständnisvoll er, „heißt alles verzeihen.“

Den Glanzpunkt der Farce setzte dann Herr Börgemann, ein ehemaliger Berufsboxer und treuer Hertha-Fan. Er trug dieses selbstgedichtete Liedlein vor:

Hamburg, München, Köln, Essen

alles längst passé,

uns gefällt am allerbesten

Hertha BeEsCe.

Und wer ein echter Fußballfan,

der leiht mir heut sein Ohr.

Und wer die Fußballstimmung kennt,

der singt mit mir im Chor:

Hertha von der Plumpe

unser kleiner Traum vom Glück.

Und als der alte Mann da oben am Podium die Tränen nicht mehr unterdrücken konnte und seine Stimme immer leiser wurde — da gab es im Publikum wohl keinen, der da nicht am liebsten mitgeweint hätte. Elke Wittich