Dohuk ist wieder eine offene Stadt

■ Abkommen zwischen Bagdad und Alliierten über Abzug irakischer Truppen und Sonderpolizei/ Zehntausende zurückerwartet

Dohuk/Zakho (taz/afp) — Gestern haben sich die Streitkräfte der Koalition mit der irakischen Regierung auf eine Regelung für die Stadt Dohuk im kurdischen Nordirak geeinigt. Den Abschluß eines Drei-Punkte-Abkommens gab der Kommandant der Koalitionstruppen im Nordirak, Shalikashvili, bekannt. In dem Abkommen wird festgelegt, daß das irakische Militär aus Dohuk und seiner Umgebung abgezogen und in ein Gebiet etwa zehn Kilometer weiter südlich verlegt wird. Außerdem ist in dem Abkommen der Abzug irakischer Sonderpolizei aus der Stadt vorgesehen. Drittens soll eine kleine Zahl von Angehörigen der Koalitionsstreitkräfte nach Dohuk hineingelassen werden, um dort bei der Wiederherstellung der Versorgungseinrichtungen mitzuwirken, erklärte Shalikashvili. Das Abkommen soll morgen früh in Kraft treten.

Noch am Sonntag war die Hauptzufahrt in die Stadt für Ausländer gesperrt. Wenige Kilometer vor der Stadt beobachteten irakische Soldaten die Hauptstraße, die von Zakho nach Dohuk führt. Der „Hintereingang“ in die Stadt vom Norden her, über Amadiya, war jedoch frei von irakischen Kontrollen.

Noch ist Dohuk eine Geisterstadt. Die breiten Straßen sind leer, die Geschäfte geschlossen, aufgebrochene Rolläden zeugen von Plünderungen. Im Stadtteil Barushdi liegen ganze Straßenzüge in Schutt: Nach den Plünderungen haben die Soldaten die Häuser gesprengt. Der Imam des Viertels ist schon vor drei Wochen zurückgekehrt, „weil sonst niemand zurückgekommen wäre. Aber es gibt bislang weder fließend Wasser noch Strom und kaum Lebensmittel“.

Saddam Hussein hatte sich zunächst geweigert, seine Truppen aus der Stadt abzuziehen. Und die Alliierten hatten erklärt, Dohuk werde nicht in die Schutzzone aufgenommen. Daraufhin hatten sich die Kurden aus dieser Stadt entschiedener als andere geweigert, zurückzukehren — bis Bagdad mit dem Truppenabzug begann. Die ersten UN-Wachen sind am Sonntag abend eingetroffen. Sie sollen auch im übrigen Gebiet der von den Alliierten eingerichteten Schutzzone“ die multinationalen Truppen ersetzen. Allerdings haben diese „UN-Wachen“ wenig Möglichkeiten, die Kurden tatsächlich vor Übergriffen irakischer „Sicherheitskräfte“ zu schützen. Eine Entsendung von UN-Truppen oder UN- Polizei war am Einspruch der Regierung in Bagdad ebenso gescheitert wie an den absehbaren Stimmenverhältnissen im UN-Sicherheitsrat.

Am Sonntag mittag waren noch einige wenige irakische Soldaten in Dohuk zu sehen. Eine erste Gruppe von UNO-Experten war gerade eingetroffen, um den Wiederaufbau der Wasserleitungen und die Verteilung von Nahrungsmitteln an die Rückkehrer zu organisieren.

Zehntausende von Flüchtlingen, die zur Zeit noch in Lagern warten, werden wohl jetzt zurückkehren. Die meisten von ihnen sitzen bereits in den drei Zwischenlagern bei Zakho, die innerhalb weniger Tage von zwanzigtausend auf fünzigtausend Bewohner angeschwollen sind, oder in der Gegend von Kani Masi, wo britische Marines eine Sanitätsstation und eine Essensausgabe organisiert haben. An den Straßen nach Dohuk sind „Way-stations“ errichtet worden, in denen die Flüchtlinge sich auf ihrem Heimweg mit Lebensmitteln, Medikamenten und Benzin versorgen können und wo auch liegengebliebene Autos repariert werden. Während es in den Notsiedlungen in Kani Masi und seitlich der großen Straßen recht chaotisch zugeht, ist die Situation in den drei Lagern bei Zakho, deren Verwaltung in der vergangenen Woche die UNO übernommen hat, weitgehend geordnet. Die Flüchtlinge leben in Zelten und nicht in Papp- und Nylonverschlägen, und es gibt genügend Latrinen. Die Stammesältesten geben jeweils für eine Woche ausreichende Mengen von Lebensmitteln aus. Wer es sich leisten kann, geht zusätzlich im nahegelegenen Zakho einkaufen.

Vor dem Zelt von Mustafa Barvari stehen drei dicke Autos, aus denen Säcke voller Zwiebeln und Käse ausgeladen werden. Barvari besitzt in Dohuk ein Geschäftszentrum und in Sirsenk eine Reihe Hotels. Als er geflohen ist, hat er fast alles dort gelassen: „Wir dachten, wir kämen nie wieder in den Irak zurück.“ Er will so bald wie möglich mit seinen beiden Frauen, den Kindern und Enkeln nach Dohuk zurück.

Während Mustafa Barvari sich voraussichtlich bald wieder zu Hause einrichten wird, haben ärmere Flüchtlinge Angst vor der Rückkehr. Die irakischen Soldaten haben einen Großteil ihres kargen Besitzes mitgehen lassen und damit manchmal auch die Existenzgrundlage der Kurden. „Verwandte, die in Dohuk waren, haben mir gesagt, daß meine Egge, mein Pflug, alles, was ich zum arbeiten brauche, weg ist“, klagt Suleiman Schaabaj. „Den Traktor habe ich noch, weil ich mit dem geflohen bin. Aber womit soll ich jetzt arbeiten? Wie soll ich die Ernte einbringen?“ Antje Bauer