INTERVIEW
: „Tut man nichts, kollabiert die Strafjustiz“

■ Der Bremer Justizsenator Volker Kröning (SPD) zum Entwurf eines „Justizentlastungsgesetzes“

taz: Die Länderjustizminister haben sich am 24.April in Berlin auf eine Gesetzesinitiative geeinigt, die auf eine Beschneidung und Verkürzung von Rechtswegen abzielt. Dieser Entwurf und das von Bundesverkehrsminister Krause geplante Beschleunigungs- und Maßnahmegesetz, dazu noch die Eigentumsregelungen in Ostdeutschland hinterlassen doch den nachhaltigen Eindruck, daß die Rechtssicherheit im neuen Deutschland grandios beschnitten werden soll.

Volker Kröning: Der Gesetzentwurf ist ein Kompromiß von allen Seiten. Wir stehen vor der dringenden Notwendigkeit, die die Kollegen aus den östlichen Ländern, aber auch der Bundesjustizminister immer wieder betonen, im Osten Deutschlands eine Justiz von Null an aufzubauen, besonders in rechtsstaatlich so wichtigen Bereichen wie der Strafrechtspflege oder auch — für den Osten — so neuen Bereichen wie der Verwaltungs- wie der Sozialgerichtsbarkeit.

Der Gesetzentwurf ist noch nicht fertig. Er wird in den Ausschüssen des Bundesrates und mit Sicherheit auch unter Anhörung der Verbände auch im Bundestag behandelt werden und geht dann noch ein zweites Mal in den Bundesrat zurück. Ich bin bereit und in der Lage für das Land Bremen zu erklären, daß wir diesen Gesetzentwurf noch korrigieren können.

Wie wollen Sie denn verhindern, daß die im Entwurf geplanten Restriktionen voll zum Zuge kommen — liegt doch der Verdacht auf der Hand, daß nun per Umweg über Ostdeutschland etwas realisiert werden soll, das zumindest in konservativen Köpfen schon lange geplant war?

Jede Idee muß neu diskutiert werden können. Das gilt auch in der Justizpolitik für Vorstellungen, die noch vor fünf oder zehn Jahren verworfen worden sind — übrigens ebenso für die Ideen der großen Justizreform der 60er und 70er Jahre. Allerdings bin ich mir hinsichtlich des strafverfahrensrechtlichen Teils des Entwurfs nicht sicher, ob alle Vorschläge geeignet sind, Personalkapazitäten freizusetzen, oder ob eine Abwägung so ausgeht, daß Nachteile nicht größer sind als Vorteile.

Was wären die Nachteile?

Wir müssen die Glaubwürdigkeit unseres Justizsystems nach zwei Seiten bewahren. Wir haben ein Justizsystem in 40 Jahren Bundesrepublik aufgebaut, das im wesentlichen vom Vertrauen der Bürger getragen wird, und das sich die Bürger sicher auch einiges kosten lassen wollen. Auf der anderen Seite müssen wir aber sehen, daß es in diesem — in der Welt fast einmaligen — Umfang nicht auf den hinzugetretenen Teil Deutschlands übertragbar ist. Jedenfalls nicht in der Zeit, in der es die Menschen im Osten erwarten.

Und deshalb stellt sich eine zusätzliche und ganz anders geartete Vertrauensfrage, nämlich die, daß die Erwartung dieser Menschen in ein bis zwei Jahren furchtbar enttäuscht werden könnte; daß nämlich überhaupt nichts, etwa im Fall der Strafrechtspflege, zu ihrer Sicherheit getan wird oder daß kein Verwaltungsrechtsschutz stattfindet oder daß Leute, die jetzt aus der Warteschleife rausfallen, keinen Arbeitsrechts- oder Sozialrechtsschutz erfahren.

Also könnte es passieren, daß sich im Osten nicht viel verbessert, gleichzeitig aber im Westen der Rechtsschutz kräftig abgebaut wird. Damit wären dann beide Seiten „enttäuscht“.

Ich bezweifle sehr, daß man das vermeiden kann, indem man gar nichts tut. Ein Laisser-faire hilft jetzt nicht mehr weiter. Die Maßstäbe, die wir anlegen sollten bei der Verkleinerung von Spruchkörpern, bei der verstärkten Beauftragung von Einzelrichtern und vor allen Dingen bei unserem Rechtsmittelsystem, dürfen nicht nur Minimalmaßstäbe sein. Aber man sollte in einem solchen Zusammenhang auch einmal betonen, daß das Bundesverfassungsgericht wiederholt gesagt hat, daß die Rechtsweggarantie des Grundgesetzes nicht in der Garantie eines zweizügigen Rechtsschutzes besteht.

Auf der anderen Seite können wir wohl unsere Maximalversorgung an Justizgewähr nicht mehr beibehalten und müssen sehen, welcher Verteilungsspielraum dazwischen liegt. Das ist besonders bitter bei der Strafjustiz, die wir gegen die Erfahrung der Kaiserzeit und des Nationalsozialismus rechtsstaatlich aufgebaut haben. Aber, bitteschön, doch nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, unter anderem auch durch Juristenausbildung und Personalpolitik. Tut man nichts, kollabiert unsere Strafjustiz in den nächsten Jahren, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen.

Interview: Barbara Geier