Boock: Susanne Albrecht wurde überredet

Boock bestätigt das Bild von Susanne Albrecht als einer „unsicheren Kantonistin“, schweigt aber zu seiner Vergangenheit  ■ Aus Stammheim Erwin Single

Nicht wenige in der Gerichtshöhle der Stammheimer Strafanstalt hegten große Hoffnung. Vom früheren RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock, der zur Zeit in Hamburg seine lebenslängliche Haftstrafe absitzt und von RAF-Aussteigern erheblich belastet wurde, hatten sie so etwas wie eine „Lebensbeichte“ erwartet. Doch Boock, gestern in Handschellen als Zeuge im Verfahren gegen seine ehemalige Kampfgefährtin Susanne Becker, geb. Albrecht vorgeführt, blieb seiner alten Linie treu. Er bestätigte zwar das Bild der RAF- Aussteigerin als einer „unsicheren Kantonistin“; wie schon in der Vergangenheit schwieg er sich aber über konkrete Tatabläufe aus. Er halte die Kronzeugenregelung nicht für den richtigen Weg, so Boock. Die Preisgabe von partiellen Wahrheiten gegen partiellen Strafnachlaß als „Kompensationsgeschäft“ komme für ihn nicht in Frage.

Boock, der bislang jede Beteiligung an dem Anschlag auf den Bankier Jürgen Ponto abgestritten hatte, soll nach der Aussage Susanne Albrechts das Fluchtauto gefahren haben. Zudem soll er an einem Banküberfall 1979 in Zürich beteiligt gewesen sein, bei dem eine unbeteiligte Passantin ums Leben kam. Zu beidem machte Boock keinerlei Angaben. Ein Antrag der Bundesanwaltschaft auf Erzwingungshaft verwarf das Gericht jedoch. Boock wurde 1984 wegen Beteiligung an der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto und des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer sowie am versuchten Anschlag auf die Karlsruher Bundesanwaltschaft zunächst dreimal zur lebenslangen und einmal zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im vom Bundesgerichtshof angeordneten Revisionsverfahren — wegen der nicht geklärten Drogenabhängigkeit Boocks — bekam er 1986 erneut lebenslänglich. Ein an den Bundespräsidenten gerichtetes Gnadengesuch wurde auf Eis gelegt, nachdem der damalige Generalbundesanwalt Rebmann interveniert hatte.

Wie zuvor bereits die RAF-Aussteiger Werner Lotze und Silke Maier-Witt entlastete auch Peter-Jürgen Boock Susanne Albrecht. Die von den Illegalen als „Hamburger Tanten“ titulierten Frauen Susanne Albrecht, Silke Maier-Witt und Sigrid Sternebeck, die 1977 zur RAF stießen, wurden Boocks Aussage zufolge trotz erheblicher Bedenken aufgenommen, weil eine Offensive der RAF bevorstand. Dem Ansinnen der Gruppe, die Kommandomitglieder ganz undramatisch in die Villa ihres „Onkel Jürgen“ (Pontos) zu bringen, habe sich Susanne Albrecht anfänglich verweigert und sei unter Druck „überredet“ worden, der zum Teil „gehirnwäscherische Qualität“ angenommen hätte. Auf Susanne Albrechts Argumente, daß sie in dem Bankier Ponto nicht den „Klassenfeind“ sehen könne und nach der geplanten Entführung sofort in die Fahndung geraten würde, gingen sie nicht ein. Statt dessen sei Albrecht bei der „politischen Moral gepackt“ worden: Wenn sie nicht mitmache, werde ihr ihre politische Einstellung nicht abgekauft. Vor der „Aktion Ponto“ habe Susanne Albrecht einen „nervösen, überreizten und nicht entschlossenen Eindruck“ gemacht; nach dem Ponto-Mord sei sie regelrecht „zerstört“ gewesen. Die ihr gegenüber ohnehin mißtrauische Gruppe stellte sie daraufhin unter dauernde Beobachtung: „Die Tante könne man nicht mehr mal alleine Brötchen holen schicken“, zitierte Boock die Gruppenmeinung, in ihrer „Verwirrtheit“ sei sie eine Gefahr für alle gewesen. Laut Boock wurde Susanne Albrecht als „unsichere Kantonistin“ für weitere Aktionen nicht mehr in Erwägung gezogen, obwohl sie dem „Ideal der aufrechten Kämpferin“ entsprechen wollte. Wie die übrigen Außenseiter Silke Maier-Witt, Sigrid Sternebeck oder Monika Helbing sei Susanne Albrecht von „denjenigen, die über mehr Herrschaftswissen verfügten“, „funktionalisiert und mißbraucht“ worden. Vor der Zeugenvernehmung Boocks hatte Bundesanwalt Wolfgang Pfaff noch einmal die Bedeutung Susanne Albrechts als Kronzeugin unterstrichen. Sie habe wichtige Hinweise auf die logistische und kommunikative Struktur der RAF gegeben und als erste aussagewillige Rückkehrerin eine „Schlüsselrolle“ für die Bundesanwaltschaft eingenommen. Vor allem die im Kommandobereich der RAF und unter legalen Unterstützern verbreitete „Mordthese“ in bezug auf die RAF- Gefangenen Baader, Ensslin und Raspe sei durch Albrechts Aussagen über Selbstmorde widerlegt worden; sie sei somit zu einer „Kronzeugin gegen die Ideologie“ der RAF geworden, erklärte Pfaff.