Dualismus für einen Chor Heurschrecken

■ Rebecca Horn in der Galerie Franck & Schulte

Die Emanzipation vom festgefahrenen Rollenverständnis des Kunstkonsums ist zentrales Anliegen vieler aktueller Künstler. Alte Grenzen der Produktion sollen durch Materialwahl, inhatliche Öffnung und die Art der Präsentation überschritten werden, um Kunst und alltägliche Wahrnehmung näher zusammenzubringen und ineinandergreifen zu lassen.

Rebecca Horn versetzt den Betrachter ihrer Werke unmittelbar ins Zentrum des Geschehens: Oft sind ihre Arbeiten begehbar und werden zu Erlebnisräumen, in denen der Gast nicht nur schauen, sondern hören, sich bewegen und auf Bewegung reagieren muß. Die Prozeßhaftigkeit der Abläufe und der Faktor Zeit tun ihr Übriges, den Konsumenten zu vereinnahmen und zu fordern.

In der Wahl ihrer Materialien läßt Horn sich größtmögliche Freiheit. Sie benutzt, was sie finden kann: Gebrauchsgegenstände, die — ihrer ursprünglichen Funktion entzogen — unter primär formalen Gesichtspunkten in ein neues Dasein überführt werden, ohne jedoch ihren früheren Gebrauchswert ganz zu verleugnen. Durch diese Wiedererkennbarkeit schlägt die Künstlerin eine Brücke zwischen Kunst und Alltäglichkeit, denn die einmal von ihr benutzten Gegenstände lassen — über den Weg der Erinnerung — deren profane, noch mitten im Leben stehenden Brüder und Schwestern am eigenen, latenten Kunstcharakter teilhaben.

Nicht zuletzt bringt die Emanzipation des Betrachters eine interpretatorische Freiheit, die es ihm unter sanftem Zwang möglich macht, sich seinen eigenen Kopf zu zerbrechen, ohne den Kategorien »richtig« oder »falsch« ausgeliefert zu sein. Rebecca Horn dogmatisiert ihre Inhalte nicht, sie gibt allenfalls ein paar Hinweise und äußert sich sonst nur spärlich zu den möglichen Erklärungsversuchen.

Bei »Chor der Heuschrecken«, einer Installation, die die neu eröffnete Galerie Franck & Schulte ausstellt, dominiert das dualistische Prinzip. Horns Suche nach zwei Extremen, deren Kombination und dem Spannungsfeld zwischen ihnen, ist hier offenkundig. Dieses dualistische Prinzip ist ein allumfassendes Konzept, immer anwendbar und überall wiederzuerkennen. Zwischen zwei Polen findet sich der Stoff, aus dem alles andere besteht. Jeder Bruch und alle scheinbar aus der Ordnung scherenden Kräfte lösen sich auf im Makrokosmos von Aktion und Reaktion und werden irgendwo auf der auf ewig austarierten Pendelstrecke zwischen den Extremen wiedereingefangen. Dieses Weltbild ist rund und abgeschlossen wie jedes religiöse Konzept auch. So gesehen hat Rebecca Horns »Chor der Heuschrecken« einen merklich kultischen Charakter. Schon im Titel zeigt die Künstlerin ihren Hang zu Polaritäten: Heuschrecken gelten als Symbol für Fruchtbarkeit und verheerende Zerstörung gleichermaßen.

Die Installation verteilt sich auf zwei Räume. Der leere dritte ist als Betrachterstandpunkt fest miteingeplant. Die elektrisch animierten Schreibmaschinen und Weingläser offenbaren ihren Dualismus schon banal an der Oberfläche: der eine Teil der Arbeit hängt an der Decke, der andere liegt auf dem Fußboden. Der eine ist schwarz, der andere weiß. Die Masse der kopfüber aufgehängten Schreibmaschinen wirkt bedrohlich und einschüchternd, während die Weingläser im anderen Raum durch ihre Transparenz bestechen und ihr Vorhandensein — zumindest teilweise — leugnen, obwohl der ganze Boden voll davon ist. Im Kontrast zu dem harten, rhythmischen Hacken der schon fast antiken Schreibgeräte ist der zarte Ton sich aneinander reibender Gläser zu hören. Dann wieder bricht Horn die Stringenz der Polarisierung, indem sie Keime des jeweilig anderen Prinzips implantiert: von den akkurat-mechanisch tackernden Schreibmaschinen herab hängt ein Blindenstock, der unsicher und ein bißchen traurig ins Leere tastet, zwischen den Gläsern eruptieren elektrische Spannungen wie Miniaturgewitter.

Den »Chor der Heuschrecken« nun auf diese Interpreation festlegen zu wollen, als Ying- und Yang-Paraphrase für den technisch interessierten Laien sozusagen, bedeutete die Arbeit unzulässig zu reduzieren. Genausogut kann man sich die Einzelteile isoliert vornehmen, dann mag die Kraft und dumpfe Beschränktheit motorischer Abläufe in den Vordergrund treten, das rhythmische Hacken zum Musikstück werden oder der Boden voll mit Weingläsern zu einem abgefeimten Op-Art-Piece — die Grenzgängerin Horn macht' s möglich. Ulrich Clewing

Die Ausstellung wurde bis Ende Juni verlängert, Mo-Fr 11-18, Sa 10-15 Uhr in der Galerie Franck & Schulte, Mommsenstr. 56, 1-12