■ Charlotte läßt bitten — lesbisch-schwules Frühlingfest in Mahlsdorf

Schwule und lesbische Massenpartys haben in Berlin derzeit Hochkonjunktur. Homo-Vereine wie Szenemagazine gleichermaßen übertrumpfen sich in Megawatt, verpflichten die ewig gleichen KünstlerInnen und animieren teure DJs, den Disco-Einheitsrhythmus noch weiter abzustumpfen. »Stop!«, dachte man sich da im Ostteil der Stadt, »wir brauchen eine Großveranstaltung ganz anderer Art«. Und schon schritten Lesben und Schwule vom »Sonntagsclub« und vom »Club C3« zur Tat.

Ihr Ergebnis ist ein Freiluft-Frühlingsfest am Samstag, zu dem alles aufgeboten wird, was die einstige DDR noch hat. Allen voran Lothar Berfelde alias Charlotte von Mahlsdorf. Der 63jährige Transvestit und Homo-Liebling in Ost und West führt durchs Programm und wird die Gäste zu Spiel und Tanz rings um sein Gründerzeitmuseum auffordern.

Wer die Liste der KünstlerInnen sieht, der staunt. Da spielen Gruppen, von denen man noch nie hörte; da wird selbst die abgewickelt geglaubte Gattung der Liedermacher wieder hervorgekramt. Neben den beiden Barden Torsten Riemann und Uli Menzel stehen unter anderem Tina-Turner-Imitat Jacky B. und Bauchtänzerin Rita Unruh auf der Bühne. Marktbuden mit Spreequell Orange, Christian Pulz und Bouletten sorgen während des Programms fürs leibliche und politische Wohl. Zapfenstreich ist allerdings schon um eins; Lothar Berfelde muß Sonntagfrüh schließlich wieder in seinem Gründerzeitmuseum arbeiten.

Zu Berfeldes Sammlung von Hausgerät aus den Jahren 1880-1900 gehören auch Sachen, die Charlotte von Mahlsdorf als 6jähriger aus dem Müllhaufen rettete oder als Trödlergeselle einbehielt: Uhren, Grammophone, Spiegel, Bilder, Lampen und kleinere Möbel. Das Mahlsdorfer Gutshaus, 1959 erworben, wandelte er in ein Museum um, das sich zum ersten halböffentlichen Treffpunkt der DDR-Lesben- und Schwulenszene entwickelte. Leicht hatte es Charlotte damit nie. Auch sein Serviceangebot stündlicher Führungen auf dem Frühlingsfest wird sich für ihn zumindest finanziell nicht auszahlen. Die Party ist ein Benefiz, um die in Berlin angesetzte Tagung der International Lesbian & Gay Association im Dezember zu ermöglichen. Homogruppen aus allen Kontinenten haben sich dazu angesagt.

Das Besondere der lesbisch-schwulen Freiluftparty ist dennoch weniger ihr internationaler Background als die seltene Möglichkeit, in Berlin noch Überraschungen erleben zu können und dabei das Flair der alten DDR zu spüren. Eine Homo-Feier ohne die Schwulenstars Georgette Dee und Melitta Sundström, ohne die Lesbenlieblinge Mathilde Santing und Greta: Das ist wahrhaftig eine Sensation. Frühlingsfest bei Charlotte von Mahlsdorf am Samstag ab 16 Uhr rund ums Gründerzeitmuseum, Hultschiner Damm 333 am S-Bhf. Mahlsdorf, Führungen sonntags 11 und 12 Uhr Micha Schulze