Im Osten Berlins boomt der Waffenhandel

■ Immer mehr EinwohnerInnen aus den östlichen Stadtbezirken greifen zur Waffe/ Der Grund: Angst vor Überfällen

Berlin. »Angst« — so lautet die knappe Antwort eines 35jährigen Busfahrers aus Köpenick auf die Frage, warum er sich eine Gaspistole für 130 Mark gekauft hat. Nach einem Überfall in seiner Wohnstraße will er abends nicht mehr unbewaffnet vor die Tür gehen. Wie er greifen viele Ostberliner zu Schußwaffen, die für jeden Erwachsenen frei erhältlich sind.

Gerade in den östlichen Stadtbezirken und im Umland gibt es einen »großen Nachholbedarf«. Der Waffenverkauf boomt: »Täglich werden bei uns rund 20 Gas- und Schreckschußwaffen verkauft«, sagt Dieter Wiedenhoff, der seit 26 Jahren Waffenspezialist im Westberliner Europacenter ist.

Der Waffenhändler hat inzwischen die Gas- und Schreckschußmunition rationiert, da die Hersteller nicht mehr ausreichend nachliefern können. »Munition bekommt nur noch der, der auch eine Waffe gekauft hat«, sagt er. Der Neuköllner Händler Ralf Wodarz, der ebenfalls bis zu 20 Waffen pro Tag verkauft, schätzt, daß neun von zehn seiner Kunden aus dem Ostteil der Stadt und den neuen Bundesländern kommen. Bei einigen Modellen gebe es inzwischen Lieferzeiten von mehreren Monaten. Die Käufer kommen aus allen sozialen Schichten, meint Wodarz. »Es sind meist gesetztere Leute.« Die Jüngeren machten nur einen Anteil von etwa zehn Prozent aus.

Die »Selbstverteidigungs-Manie« stößt bei der Polizei auf wenig Begeisterung. Polizeibeamte kritisieren, daß die freiverkäuflichen Waffen täuschend echt scharfen Faustfeuerwaffen wie den von Walther, Smith & Wesson, Browning oder Beretta nachgebildet sind. Selbst ein Fachmann habe Schwierigkeiten, aus der Entfernung eine scharfe Waffe von einer Gas- und Schreckschußpistole zu unterscheiden.

Auch wird bemängelt, daß die Selbstverteidungswaffen mit relativ einfachen Mitteln »scharf gemacht« werden können. Etwa, wenn bei einem Revolver der Lauf ausgewechselt und das Patronenlager für scharfe Munition »passend« gemacht wird. Nach Ansicht der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP) sollen die Waffenhersteller verpflichtet werden, einen solchen Umbau technisch unmöglich zu machen.

Auch den Händlern ist klar, daß ihre Ware gefährlich ist. Wenn etwa Gasmunition auf ein Ziel abgeschossen wird, daß unter einen Meter entfernt ist, kann sie gefährliche Verletzungen verursachen. Wenn die Waffe an den Körper angesetzt wird, kann ein Schuß sogar tödlich sein. »Wir weisen unsere Kunden darauf hin«, sagt Händler Wodarz, »in der stillen Hoffnung, daß es beherzigt wird.« Wenn es »unbedingt sein müßte«, würde er auch einer Registrierung dieser Waffen bei der Polizei zustimmen.

Rund 17.000 Berlinerinnen und Berlinern reichen Selbstverteidigungswaffen nicht mehr aus. Sie erkundigten sich seit dem 3. Oktober 1990 bei der Polizei nach einem Waffenschein, der das Tragen von scharfen Waffen in der Öffentlichkeit erlaubt. Seit der Wiedervereinigung gilt auch in Berlin das Bundeswaffenrecht — zuvor schränkten strenge Vorschriften der alliierten Besatzungsmächte den Privatbesitz von Waffen stark ein. »Etwa 1.200 Anträge für einen Waffenschein liegen bei uns vor«, sagt Hans-Günter Lieser von der Polizeiabteilung für waffenrechtliche Angelegenheiten. Antragsteller seien etwa gefährdete Manager, Mitarbeiter von Sicherheitsunternehmen, Juweliere oder Tankstellenbesitzer.

Dazu kommen noch einmal Anmeldungen für etwa 20.000 scharfe Schußwaffen, die von ihren Besitzern aber nur zu Hause gelagert werden dürfen. Viele Waffenhalter scheuen aber noch immer die polizeiliche Registrierung. Beobachter rechnen mit rund 50.000 scharfen Schußwaffen in Berlin. Christian Böhmer