Kluge Kinder sterben früh

■ Zu einer Anthologie mit DDR-Lyrik

Das Cover des Büchleins — weiße Schrift auf schwarzem Grund — gemahnt einerseits an eine Schultafel, andererseits an eine Traueranzeige — beides nicht die angenehmsten Assoziationen. DEUTSCH in einem anderen LAND: der Titel meint unverkennbar auch das Lehrfach Deutsch; der Untertitel setzt die Lebensdaten der früh Verstorbenen in Klammern hinter ihre Initialen: „Die DDR (1949-1990) in Gedichten.“

Ein pietätvolles Unternehmen also, und — Didaktik und Trauerarbeit — wiederum eine arg deutsche Mischung. Zweifellos liegt es an dieser Vorgabe, daß es dem Band ebenso an Galgenhumor gebricht wie, schmerzlicher, am Mut zu Extremen. Die groteske stalinistische Verirrung, sozusagen megatypisch für die Gründerjahre, ist ebenso ausgespart wie die schroffe Distanzierung einer Vielzahl von DDR-Frustrierten. Biermanns moderat angeekelte Stasi-Ballade ist das äußerste an Liebesentzug, das die trauernden Hinterbliebenen dem Andenken der von uns Gegangenen zumuten mögen. Dieses Manko räumen die Herausgeber auch freimütig ein, sie formulieren es nur ein bißchen anders. Sie beschwören den „Spagat“, den die Vermittlung zwischen immanenter Veränderung und fundamentaler Kritik erzwungen habe: der aber konnte ja nicht gelingen, nicht auf dem Papier und nicht in der Realität — genau an diesem Widerspruch haben sich die besten Autoren der DDR vergeblich abgearbeitet, bevor sie früher oder später resignierten.

Das läßt sich an der vorliegenden Anthologie ablesen, zu der 17 Autoren und eine Autorin (Inge Müller) ihr Scherflein beitragen dürfen: darunter ist viel (zu Recht) Vergessenes, einiges (zu Recht) Wiederentdecktes, und auffallend weniges hat einen kräftigen Witz (Ausnahmen: Kurt Bartsch und, auf einem anderen Niveau, Volker Braun). Geordnet ist die Sammlung nach Geburtsjahrgängen der Autoren: die in den Dreißigern geborenen — bei ihnen vor allem wollen die Herausgeber das „andere (bessere?) Deutsch“ entdeckt haben — sind deutlich in der Überzahl. Das schließt den Befund ein, daß die Nachgeborenen mit der ihnen in die Wiege gelegten Realutopie herzlich wenig anfangen konnten — jedenfalls literarisch. Einer unter 18 (!), Bert Papenfuß-Gorek, ist nach 1945 geboren.

Große „kämpferische“ Lyrik bedarf der Überredungs- und Verführungskraft; die ist in den wenigsten gegeben. Einer zumindest darf sich hier ganz naiv auf Heine und Brecht berufen: Wolf Biermann. Bei seinem schönen Lied Enfant perdu, anläßlich der „Republikflucht“ Florian Havemanns entstanden, fällt allerdings auf, daß hier wohl die Trauer stimmt, nicht aber die Moral: „Wer abhaut aus dem Osten/ Der ist auf unsere Kosten/ Von sich selber abgehauen...“ Darauf wird er sich heute einen anderen Reim machen; wie auch auf den vieldeutigen Vers aus demselben Lied: „Ach, kluge Kinder sterben früh...“ Martin Krumbholz

DEUTSCH in einem anderen LAND. Die DDR (1949-1990) in Gedichten ; hrsg. von Rüdiger Mangel, Stefan Schnabel und Peter Staatsmann; Edition Hentrich Berlin; 176 Seiten; 9,80DM.