Bundesanwaltschaft fordert 12 Jahre

Verteidiger von Ex-RAF-Mitglied Susanne Albrecht sind erschüttert über das hohe Strafmaß für die Kronzeugin/ Albrecht: Prozessuale Aufarbeitung soll „Terrorismus ins Wanken“ bringen  ■ Aus Stammheim Erwin Single

Zum Abschluß des Prozesses gegen die RAF-Aussteigerin Susanne Becker geb. Albrecht vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht hat die Bundeanwaltschaft gestern eine Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren gefordert: Unter Berücksichtigung der Kronzeugenregelung setzten die Ankläger gegen das „kleine Licht“, das „Täter und Opfer zugleich“ gewesen sei, für erpresserischen Menschenraub mit Todesfolge an dem Bankier Jürgen Ponto zehn Jahre, für das versuchte Bombenattentat auf den damaligen Nato-Oberkommandierenden Alexander Haig und seine zwei Begleiter sechs Jahre an. Wegen der Kooperationsbereitschaft der Angeklagten bei den Vernehmungen und während des Stammheimer Verfahrens habe man von einem höheren Strafmaß abgesehen. Vom überraschend hohen Strafantrag zeigten sich die Verteidiger von Susanne Albrecht irritiert: Sie sehen in der vorgeschlagene Strafe ein „Mißverhältnis“ zum Strafantrag gegen den RAF-Aussteiger Werner Lotze, in dessen Verfahren die Bundesanwaltschaft unter Anrechung des Kronzeugenrabatts neun Jahre Haft gefordert hatte. Nach Auffassung des Verteidigers Hajo Wandschneider sollte das Strafmaß gegen die Angeklagte höchstens 7 1/2 bis 9 Jahre betragen.

Auch in der Bewertung der Tatbeteiligung Susanne Albrechts waren sich Bundesanwaltschaft und Verteidiger uneinig. Der Anklagevertreter Rainer Griesbaum räumte ein, die RAF-Aussteigerin habe zwar den Tod Pontos nicht billigend in Kauf genommen und nicht als „Mörderin“ gehandelt, aber dennoch eine „Schlüsselrolle“ eingenommen. Sie habe ihre freundschaftlichen Beziehungen ausgenutzt und dem Kommando „Zugang zum Hause Ponto verschafft“. Auch wenn sie in die Planung der Aktion nicht voll einbezogen wurde, werde der „kollektive Tötungsplan“ nicht grundsätzlich in Frage gestellt, erklärte Griesbaum, die für den Ponto-Mord Verurteilten Klar, Mohnhaupt und Boock seien „Mörder und bleiben Mörder“.

Auch Susanne Albrechts Beteiligung an der mißglückten „Aktion Haig“ sieht die Bundesanwaltschaft durch ihre Ausspähungen und die Sprengstoffbeschaffung als erheblich an. Verteidiger Dieter König hielt dagegen, da Susanne Albrecht sich zur Tatzeit nicht mehr in Brüssel aufgehalten habe und somit an der letzten Vorbereitung sowie der Ausführung des Anschlags nicht beteiligt gewesen sei, könne sie allenfalls wegen Beihilfe zur Straftat belangt werden. Die von der Bundesanwaltschaft weiterhin aufrechterhaltene Kollektivitätsthese wurde von beiden Verteidigern als „Fiktion“ in Zweifel gezogen: Nach Aussagen von Lotze, Maier-Witt und auch Boock hätte es innerhalb der RAF eine klare Hierarchiestruktur gegeben, Susanne Albrecht habe als Außenseiterin nie wirklich mitentscheiden können. Die Ankläger hatten die Kollektivitätsthese damit begründet, selbst wenn Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, trügen auch die „Untenstehenden eine Verantwortung als Mittäter“.

In einem Punkt waren sich Bundesanwaltschaft und Verteidiger jedoch einig: Das vom 5. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts am 3.Juni verkündete Urteil wird Signalwirkung für die künftige Anwendung des umstrittenen Kronzeugen-Gesetzes haben. Darüber hinaus, so glauben beide Verfahrensparteien, könnten die Bekenntnisse der Angeklagten die Identität der RAF und ihres Umfeldes in Frage stellen. Außer Werner Lotze habe keiner der RAF-Aussteiger ein so „umfangreiches und vorbehaltloses, sich und andere belastendes Geständnis abgelegt“ und damit Aufklärungshilfe für begangene Straftaten geleistet, erklärte Bundesanwalt Zeiss. Die Ankläger legten aber auch Wert darauf, daß die Bekenntnisse für die Bekämpfung künftiger Anschläge nur „abstrakt geeignet“ und „nicht hoch“ anzurechnen seien. Nicht zuletzt weil sie die Mordtheorie der Stammheimer Gefangenen als „Strategielüge der RAF“ entlarvt habe, rüttelten die Aussagen Albrechts aber an den „ideologischen Grundpfeilern der RAF“. Auch sei sie ernsthaft bemüht, RAF-Mitglieder „zum Aussteigen“ und die RAF „zum Aufhören“ zu bewegen. Susanne Albrecht betonte in ihrem Schlußwort noch einmal, das von ihr begangene Unrecht sei nicht mehr gutzumachen. Neben der strafrechtlichen sei auch ihre „politisch-moralische Verantwortung“ groß. Heute habe sie die Hoffnung, daß durch die „ermittlungsmäßige und prozessuale Aufarbeitung“ der „Terrorismus ins Wanken“ komme.