Grinsende Spenglerparade

■ »Ave Atlantis« in der Neuen Nazarethkirche/Wedding

Nachdem das Stadtmagazin 'Zitty‘ die »Scheiß Off-Kultur« aufs Titelblatt geholt hat, beeilt sich die »hit&run-promotion«, Betreuerin von Ave Atlantis, in ihrer Pressemappe zu versichern, daß es sich bei dem Stück um »keine übliche Off-Theateraufführung« handele. Im Gegenteil: »Ein erfolgreicher Filmproduzent« produziert mit dem Hebbel-Theater ein Stück »mit einer hochkarätigen Besetzung«. Viel prominente Namen fallen, um das Stück ordentlich zu hypen und die Mitwirkenden fest und wichtig im Aspekte-Kulturbetrieb zu verankern: Luigi Nono, Fassbinder, Rebecca Horn, Jean-Luc Godard, Louis Malle, Robert Wilson, John Huston usw. Alle Achtung! Klasse ist auch, daß der Koproduzent des Stücks 1990 im »Fachbeirat für Kultursponsoring der Unternehmensgruppe Gruber, Titze und Partner« gesessen hat. 1995 ist Elmar Zorn »Kulturkoordinator der Weltausstellung 1995 in Wien«. Doch die fällt aus, so man aufs Volk hört.

Auf Plakaten und in Anzeigen versucht sich Ave Atlantis zwar etwas bemüht, als Pop zu verkaufen. Eher klassisch allerdings ist die Handlung: Karl-Ernst Ludwig (Martin Wuttke), der Sohn, der sich auch Erasmus von Dattelhofen nennt, ist Dichter. Er steht, liegt im Kinderbett, oder stottert bleich, aufgeregt und ein bißchen gestört — eben wie ein richtiger Dichter, dem es um alles geht, zwischen seiner versoffenen Mutter (Volker Spengler) und seiner schwachsinnigen Schwester (Margarita Broich). Die Mutter thront das ganze Stück über halbnackt, feist grinsend, kettenrauchend und feixend auf einem Lehnstuhl. Ab und an wünscht sie sich, eine neue Leber zu kaufen. Die Schwester schlurft unaufhörlich kartoffelschälend über die Mittelschiffsbühne der Neuen Nazarethkirche, an deren beiden Seiten die Zuschauer staunen. Beide unterstützen den Sohn bei gelegentlichen Lesungen in Tittlingen oder Dattelhofen. Die Lesungen jedoch sind regelmäßig Katastrophen. Da kommt niemand. Das Werk des sensiblen Dichters stößt auf Desinteresse. Nur Absagen schicken die Kulturverwalter.

Von all dem und mehr handelt der Monolog des Dichters. Eine Verschwörung vermutet er als Grund seiner Nichtanerkennung, die ausbeuterische Schweinezucht seiner Mutter verurteilt er schärfstens. Auch stört ihn der unaufhörliche Krach von Autos und Schweinen dort draußen in Dattelhofen beim Schreiben. »Gebirge des Lärms«, »Gebirge des Nihilismus« schichtet die moderne Gesellschaft, um ihn zu quälen.

Unbeweglich höhnt die Mutter gemütlich. Sie braucht Wodka; er braucht Valium. Schuhe quietschen beim Gehen zum Teil ganz entsetzlich. Der Plan, die Schwester zum Wohle der Kunst zu opfern, wird verworfen, auch wenn sie plötzlich das hübsche Hauskleid mit klappernd schuppigem Tingeltangel vertauscht und ein blitzendes Messer in der Hand hält. Begütigend zupft ein Musiker am Rande den Baß und singt lautmalerisch ein bißchen Blues, damit sich alle beruhigen.

Etwas aufgesetzt zuweilen huschen die Wörter des Stücks vorbei. Da können die SchauspielerInnen nichts dafür. Verschwörerisch schelmisch werfen sie am Ende ein paar Blicke oder Gesten in den Zuschauerraum und stehlen sich damit aus der veranstalteten Kunst, daß es eine helle Freude ist. Etwas kokett blinzelt dann Margarita Broich, als wollt' sie sich gleich ihres Kostüms entledigen, um eine Nuance verschiebt sich das stete Grinsen von Volker Spengler und zufrieden verläßt der Zuschauer die Kirche und überlegt sich, was das wohl bedeutet haben mag oder ob er sich nur geirrt hat. Ave Atlantis ist das erste Stück von Philipp Kreuzer, das zur öffentlichen Aufführung gelangt. Gegenwärtig arbeitet er am Abschluß eines Romans. Detlef Kuhlbrodt

Ave Atlantis von Philipp Kreuzer; Regie: Klaus Emmerich; Darsteller: Martin Wuttke, Volker Spengler, Margarita Broich; Produktion: Gargantua (London) in Verbindung mit dem Hebbel-Theater; noch bis zum 2. Juni; täglich, außer Montag, 20 Uhr.