Hauptstadt der Schnarcher

■ Nächtlicher Horror: Neben dir liegt jemand und schnarcht / In Berlin tun das etwa 360.000 Männer und 50.000 Frauen / Schnarcher machen Krach wie ein Preßlufthammer aus 3 1/2 Meter Entfernung

Regina B. war schon genug gestraft. Wegen einer akuten Blinddarmentzündung mußte die 31jährige vor ein paar Tagen per Krankenwagen in ein Kreuzberger Hospital eingeliefert werden. Nach der schnell anberaumten Operation dachte die Sekretärin, daß sie das Gröbste nun hinter sich hätte. Doch das Schlimmste hatte sie noch vor sich: Als ihre 70jährige Bettnachbarin nach den Tagesthemen einschlief, brach plötzlich der Terror los.

»Ich dachte, neben mir wird gerade ein Motorrad angelassen!« beschreibt Frau B. das furchtbare Geräusch, das landläufig als Schnarchen bezeichnet wird. Es entsteht, wenn Menschen beim Schlafen durch den Mund einatmen und der Luftzug das Gaumensegel flattern läßt. Der kleine Knorpel, den man sich vor dem Spiegel beim A-Sagen angucken kann, wird mit den Jahren immer schlaffer, deshalb schnarchen ältere Menschen öfter und vor allem lauter als junge. In den Altersheimen unserer Republik kommt man sich nachts deshalb oft wie auf dem Sägewerk vor.

Die Zimmergenossin von Frau B. gehört offenbar zu der ganz harten Truppe: Sie werden Froschschnarcher genannt. Diese Leute erreichen mühelos einen Lärmpegel von 70 Dezibel — das entspricht etwa der Lautstärke eines Preßlufthammers aus dreieinhalb Meter Entfernung. Die gemäßigte Fraktion, die sogenannten Eisenbahnschnarcher, bringen es immerhin auf 40 Dezibel — das ist ungefähr das Geräusch einer normalen Unterhaltung. Experten schätzen, daß im vereinigten Deutschland etwa zehn Millionen Menschen schnarchen. Die männliche Hälfte der Bevölkerung ist zwölfmal so oft an der Lärmbelästigung beteiligt wie die weibliche. Und in Berlin, vermutlich der künftige Regierungssitz, schnarchen schon jetzt so viele Menschen wie in keiner anderen deutschen Stadt: Etwa 360.000 Männer und — wegen des hohen Anteils von Wilmersdorfer Witwen — rund 50.000 Frauen.

Den Berliner Krankenschwestern ist das Schnarchproblem bestens bekannt. Kaum eine Woche vergeht, in der eine Nachtschwester nicht um Ohropax, Schlaftabletten oder gar um ein anderes Zimmer gebeten wird. »Wir schieben die Betten von belästigten Patienten nachts oft ins Ärztezimmer«, berichtet Ingrid G., die im Krankenhaus Neukölln Dienst tut. Schlaftabletten verabreiche man nicht, »daß dürfen nur die Ärzte!« erklärt sie weiter. Die Wahrheit ist aber: Wenn kein Ausweichzimmer mehr frei ist, werden in Krankenhäusern des öfteren Schlafmittel als Antischnarch-Medikament verabreicht. Das bestätigt auch eine Berliner Nachtschwester, die ihren Dienst vor kurzem quittiert hat und anonym bleiben will: »Wenn es zu laut wird und kein Ohropax mehr da war, haben wir öfter mal Tabletten verabreicht.«

Den größten Ärger ums Schnarchen aber gibt es im Ehe- oder Beziehungsbett. Das Problem: Schnarcher haben kein Schuldbewußtsein, sie hören sich ja nicht. Daß sie wohl wieder etwas zu laut gewesen sind, merken sie morgens meist nur an den blauen Flecken, die sie sich nachts zugezogen haben: Lärmgeschädigte langen schon mal kräftig hin, wenn der Schnarcher auch nach mehrmaliger Ansprache nicht zu sägen aufhört. Die Prügeltherapie, so raten Mediziner und Freizeitforscher, bringt aber recht wenig. Sinnvoller sei es vielmehr, den Kopf des Schnarchers in eine Seitenlage zu bringen. Schnarcher sollten nie auf dem Rücken liegend einschlafen — dann öffnet sich der Mund und der Ärger geht los. Liegt der Kopf dagegen auf der Seite, bleibt die Klappe zu und die Sauerstoffaufnahme erfolgt durch die Nase.

Falls das nichts nützt, sollte man alte Hausrezepte ausprobieren: Das Zwacken des großen Zehs soll angeblich Wunder bewirken. Ebenfalls erfolgversprechend: Vor dem Einschlafen die Nase putzen. Hat das Schnarchen pathologische Ursachen — wie beispielsweise eine schiefstehende Nasenscheidenwand — kann auch eine Operation sinnvoll sein. Seriöse Mediziner raten von einer operativen Verkürzung und Straffung des Gaumensegels allerdings ab. So ein Eingriff kann nicht nur zu Schluckbeschwerden, sondern auch zu einer erheblichen Veränderung der Stimmlage führen. Denn durch die Straffung des Zäpfchens wird der Resonanzkörper verändert.

Auch Erfinderinnen und Erfinder haben sich schon oft mit dem Problem beschäftigt. Der aus Japan stammende Tüftler Takeuchi Shohei meldete vor zwei Jahren beispielsweise ein nützliches Kissen beim britischen Patentamt (Nummer: 2208003/1989) an. Das Prinzip: Wird ein bestimmter Geräuschpegel überschritten, schaltet sich der Motor des Kissens ein und bringt den Kopf des Schlafenden in eine andere Lage. Liegt der Kopf auf der Seite, hört das Schnarchen auf und der Motor des Kissens schaltet sich automatisch wieder ab.

Auch die 70jährige Rentnerin Alice Wawerzinek aus Rerik bei Rostock erfand ein wirksames Mittel gegen das Schnarchen. Es handelt sich dabei um eine simple Rolle Toilettenpapier, die mit einem Damenstrumpf überzogen wird und mit einem weiteren Strumpf unter dem Kinn befestigt wird. Entscheidender Vorteil: Der Unterkiefer bleibt oben, man atmet durch die Nase. Entscheidender Nachteil: Die Antischnarchrolle sieht einfach verboten aus.

Haben alle Gegenmittel nichts genützt, bleibt einem nur, das Schicksal von Millionen von Partnerinnen und Partnern zu teilen: der Umzug ins Gästezimmer. CC Malzahn