EG soll Mercedes, Peugeot und Fiat schützen

Europas Autobauer jammern über „japanische Kolonisten“/ EG-Kommissionschef Delors verfolgte in Tokio Eigeninteressen  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Den Flaggschiffen nationalen Geschwindigkeitswahns geht es an den Kragen. Nicht mehr in Mercedessen, Fiats oder Peugeots rasen die stilbewußten EuropäerInnen durch ihre Länder. Begehrt sind japanische Vehikel aus den Häusern Honda, Nissan oder Suzuki. Dem drohenden Verlust patriotischen Kaufbewußtseins bei den europäischen AutofahrerInnen entgegenzuwirken, sei eine Aufgabe der EG. Denn andernfalls, so Peugeot-Chef Jacques Calvet, werde Europa „von den Japanern ökonomisch kolonialisiert“.

Calvet weiß, warum er — unterstützt von der neuen französischen Premierministerin Edith Cresson — Kriegsstimmung verbreitet. Unternehmensberater gehen davon aus, daß allein Peugeot in den nächsten Jahren zwischen 50 und 80 Prozent Marktanteile an die Japaner verlieren wird. Für die Computer- und Elektronikbranche sind die Prognosen noch dramatischer.

Viel Hilfe haben die angeschlagenen Industrien von der EG-Kommission in Brüssel jedoch nicht zu erwarten. Unter dem Slogan „Keine Angst vor den Japanern“ propagiert Binnenmarktkommissar Martin Bangemann statt dessen, parallel zum Abbau der Grenzen innerhalb der EG schrittweise auch die Außengrenzen zu öffnen. Die japanischen Autohersteller sollen ihren EG-Marktanteil von heute rund zehn Prozent auf voraussichtlich 15 Prozent 1998 steigern dürfen. Daß diese vorsichtige Liberalisierung besonders die Autofabriken Frankreichs, Italiens und Spaniens trifft, ist für Bangemann Selbstzweck: Eine Modernisierung der europäischen Industrie läßt sich, nach dem Glauben der Freihändler in der Kommission nur in der Härte des internationalen Wettbewerbs erreichen. Daß deswegen japanische Geschäftsleute in Bangemann bereits den Sachwalter ihrer Interessen sehen, stört den Kommissar nur wenig.

Zumal auch sein Chef, EG-Kommissionspräsident Jacques Delors, in dieser Woche nach Japan gereist ist. Für ihn standen weniger die Sorgen der bedrängten Firmen auf der Tagesordnung als die Aufwertung seiner Behörde gegenüber den einzelnen EG-Mitgliedsstaaten. Denn bislang bevorzugen die Japaner den bilateralen Kontakt. Denn die die Zwölf haben sich noch zu keiner einheitlichen Außenwirtschaftspolitik durchringen können. So gibt es eine Vielzahl bilateraler Handelsverträge und einzelstaatliche Importbeschränkungen, die häufig zu Streitereien zwischen nationalen Regierungen und der EG-Kommission führen.

Beispiel: Die Kommission und die britische Regierung sind der Meinung, daß die in Großbritannien hergestellten Nissan-Autos wie Fahrzeuge EG-internen Ursprungs behandelt und entsprechend nicht auf die Importquote für japanische Autos angerechnet werden sollen. Die italienische Regierung hingegen will die Autos wie japanische Erzeugnisse behandelt wissen.

Während die EG in letzter Zeit Handelsverträge mit osteuropäischen Ländern en masse abgeschlossen hat, will es mit der Weltmacht Japan nicht recht klappen. Warum? Nachdem Ende der 60er Jahre das Handelsbilanzdefizit der EG-Länder gegenüber Japan stark angestiegen war, wurde zwar 1970 begonnen, einen Handelsvertrag zwischen der EG und Japan auszuarbeiten, der die bilateralen Verträge zwischen Japan und den einzelnen Mitgliedsstaaten ablösen sollte. Das Projekt scheiterte jedoch an der Klausel zum Schutz der EG-eigenen Industrien, welche die Japaner nicht akzeptieren wollten.

Erst 1982 wurde die Zuständigkeit der EG-Kommission für den Handel mit Japan etwas aufgewertet, als das höchste Gremium der EG, der Ministerrat, der Kommission ein Mandat für Verhandlungen mit Japan übertrug. 1986 legte die Kommission ein „Globalkonzept“ für die Beziehungen der Gemeinschaft zu Japan vor, das die bilateralen Verträge jedoch nicht außer Kraft setzte. Dem Ziel, das wachsende Ungleichgewicht in den Handelsbeziehungen abzubauen, ist die Kommission damit nicht nähergekommen: Allein in den letzten vier Monaten ist der japanische Handelsüberschuß mit der EG auf rund 17 Milliarden D-Mark gestiegen gegenüber 10 Milliarden vor einem Jahr.

Um das Ungleichgewicht zu beseitigen, appellierte Kommissionspräsident Delors bei seinem Besuch in Tokio erneut an das handelspolitische Gewissen der Japaner, ihrerseits die Märkte für europäische Güter zu öffnen. Französischen Skiern wird bescheinigt, für japanischen Schnee nicht geeignet zu sein. Früchte und Gemüse aus ganz Europa sind mit einem Einfuhrverbot belegt, weil sie angeblich von der Fruchtfliege infiziert sind, obwohl diese nur am Mittelmeer vorkommt.

Doch eine Lockerung der japanischen Einfuhrbestimmungen, dies weiß auch Delors, würde das Handelsungleichgewicht nur unwesentlich austarieren. Vielmehr verspricht er sich von der jetzt unterschriftsreifen „gemeinsamen Erklärung“ eine Aufwertung seiner Behörde. Denn die „Teile-und-herrsche“-Politik Japans gegenüber Europa wird so lange Erfolg haben, solange die EG nicht mit einer Stimme spricht. Das wissen allerdings auch die High-Tech-Kolonisten, weswegen sie Delors nur aus japanischer Höflichkeit empfangen haben.