Weder blaue noch olivfarbene Helme

Mahnungen und Warnungen im Hinblick auf den bevorstehenden SPD-Parteitag wurden auf einem Hearing der Friedensbewegung laut/ Thema: Einsatz deutscher Soldaten innerhalb der UNO-Friedenstruppen und außerhalb der Nato  ■ Aus Bonn Bernd Müllender

Über „Eskalationsspiralen“ hatte der Bochumer Diskurstheoretiker Professor Jürgen Link nachgedacht. Deutsche Blauhelme als Puffer beispielsweise in einem künftig noch instabileren Südafrika oder in Kambodscha: Schlimmeres verhüten könnten sie nicht, so Link, denn jede Art von Krieg, auch Bürgerkriege, hätten „die immergleiche militärische Logik“. Schnell eskalierten Spannungen — von Spannungen zur Spaltung eines Landes sei es nur ein kleiner Schritt, gegen Partisanenkämpfer und Terror seien Friedenstruppen kein Mittel. „Dann wären die deutschen Blauhelm-Soldaten als potentielle Dschungelstürmer entweder mitten drin im Kampfgeschehen, oder sie hauen ab als Drückeberger hoch fünf. Blauhelm-Missionen sind ein Unternehmen mit Höchstrisiko.“

Dabei sind Blauhelme, jene scheinbar friedenssichernden neutralen UNO-Truppen, noch das kleinere Übel. Schlimmer, wenn „bei der Jahrhundertentscheidung über die deutschen Wüstenstürmer-Einheiten“ (Link) gleich ganze Kontingente einem UNO-Kommando unterstellt werden und deutsche Soldaten außerhalb der Landesgrenzen, fernab vom Verteidigungsauftrag, mittun sollen.

Mit einem ganztägigen, hochkarätig besetzten Experten-Hearing „Deutsche an die Front?“ schaltete sich am Donnerstag auch die Friedensbewegung in die Debatte ein. Juristisches interessierte nur themenbegleitend — immerhin aber wurde klar, daß das Grundgesetz nur „mit einer Uminterpretation des Wortlautes und hoher Begründungslast“ (Verfassungsrichter Deiseroth) einen Bundeswehreinsatz „out of area“ zuläßt. Der geläuterte Ex- Admiral Schmähling im Klartext: „Deutsche Soldaten machen sich schuldig und strafbar, wenn sie an einem Krieg wie im Golf teilnehmen. Sie hätten Befehle bei einem solchen Angriffskrieg nicht ausführen dürfen.“ Immerhin haben sie schon Befehle ausgeführt, und tun dies noch: Beim Einsatz im Fast-Bündnisfall in der Türkei, bei der logistischen Kriegsunterstützung im Mittelmeer, jetzt beim Minenräumen im Golf und bei den so humanitär verbrämten Aufgaben im Iran, gleich neben den Pulverfässern Irak und Kurdistan.

Inhaltlicher Schwerpunkt beim Hearing war das deutsche am Deutschsein, die belastende Geschichte, das Gewissen, die Traumata der Vergangenheit, die psychischen Deformationen im deutschen Bewußtsein. Der Brite Frank Barnaby und besonders der unnachahmliche norwegische Friedensforscher Johan Galtung hielten den Teilnehmern den Spiegel vor. Galtung zählte vier typisch deutsche Tabus auf, die die Diskussion „so erschweren und regulieren“: Israel, die EG als kommende Supermacht, die USA („Es ist einfacher in den USA schlechtes über die Hegemonialmacht USA zu sagen als hier“) und als viertes: „Deutschland selbst, selbstverständlich“. Gegenüber dem neuen Weltenordner USA könne es, so Galtung, „keine größere Sünde geben, als einmal Klient zu sein und dann aufmüpfig zu werden“. Damit meinte er rückblickend den knallhart bestraften Saddam Hussein und vorausschauend die Deutschen, wenn sie militärisch nicht so täten wie geheißen.

Neben dem Netzwerk Friedenskooperative hatten sich in Bonn diese Woche viele Gruppen zu Wort gemeldet: Wissenschaftler aller Ressorts, Ärztevereinigung, Richter, besonders vehement auch der SPD- Verfassungsrechtler Erich Küchenhoff aus Münster: „Hände weg vom Grundgesetz. Die UNO ist die Schranke, daß deutsche Soldaten wieder schreckliches Unheil anrichten in der Welt. Lieber sind wir weiter Heulsusen, Scheckbuchkrieger, und Drückeberger.“

Es waren Argumente und Hilferufe in letzter Minute — denn zugeschnitten waren alle Mahnungen und Warnungen auf den SPD-Parteitag in Bremen. Die Genossen werden die entscheidende Rolle spielen um die Zukunft der Bundeswehr — eine Grundgesetzänderung (Zweidrittelmehrheit) geht nicht gegen sie. Selbst wenn die Verfassungsinterpreten meinen, auch ohne Änderungen deutsche Truppen in die weite Welt schicken zu können, wünscht sich doch die Regierung eine breite politische Mehrheit. Galtung schloß mit ironischer Hoffnung: „Die SPD tapst ja mit ihren Pfoten überall mal hin, aber wenn es ihr zu heiß ist, zieht sie sie schnell wieder weg.“

Im Publikum saßen viele Genossen. Wenn sie sich zu Wort meldeten, klang immer wieder diese staatsmännische Attitüde durch, die derzeit auch die Koalitionsäußerungen prägt: Von deutscher Verantwortung in der freien Welt, vom Völkerrecht, von der Staatengemeinschaft, zu der man gehören wolle. Es ist der Wunsch, endlich einmal den guten und edlen deutschen Soldaten zu schaffen, damit die Verbrechen der früheren zu relativieren, die Kriegsschuld auszulöschen.

Das scheint reizvoller, als den Geist des Grundgesetzes ernstzunehmen, der ja gerade aus den Erfahrungen der NS-Zeit entstanden ist. „Es ist dieses deutsche Phänomen der Angst vor der Freiheit, sich selbst einmal völlig neu zu definieren“, meinte der Psychoanalytiker Horst- Eberhard Richter. „Einen deutschen Lernprozeß durch eigenes Scheitern gibt es immer noch nicht, statt dessen bleibt dieses schlimme tiefverwurzelte Denken von Siegen im Stärkekult.“

Dabei, so Richter, wäre „militärische Zurückhaltung doch ein Fortschritt und keine Bewährungsstrafe für die Vergangenheit“.