Kronzeugenregelung unauffällig beerdigt

Die Bundesanwaltschaft will ihre Revision gegen das harte Urteil gegen ihren Kronzeugen, das ehemalige RAF-Mitglied Werner Lotze, zurückziehen/ Lotze verweigert seine Zustimmung  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Der Sprecher der Bundesanwaltschaft mag es zwar noch dementieren, aber die Entscheidung ist längst gefallen: Die obersten Ankläger der Karlsruher Behörde wollen den Revisionsantrag, den sie zugunsten des verurteilten früheren RAF-Mitgliedes Werner Lotze beim Bundesgerichtshof eingelegt haben, zurückziehen. Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, der nach der Urteilsverkündung am 31. Januar noch davon sprach, daß die bayerischen Richter die Kronzeugenregelung „falsch angewandt“ haben, versuchte jüngst, den Berliner Anwalt von Lotze zu einer Rücknahme der Revision zu überreden. Doch dieser lehnte ab und hält den eigenen Revisionsantrag aufrecht. Weil die Bundesanwaltschaft (erstmals) zugunsten des Beschuldigten Revision eingelegt hat, kann sie diese nach der Strafprozeßordnung nur mit dem Einverständnis des Angeklagten zurückziehen.

Der Versuch, die Revision im Fall Lotze wieder zurückzuziehen, ist ganz offenbar ein Sinneswandel in Sachen Kronzeugenregelung. Der kommt auch in dem vergleichsweise hohen Strafmaß (12 Jahre) zum Ausdruck, das die Karlsruher Vertreter im Stammheimer Prozeß gegen die RAF-Aussteigerin Susanne Albrecht forderten. Hintergrund der Entscheidung der Bundesanwaltschaft ist aber auch das nun schriftlich vorliegende Urteil des Bayerischen Obersten Landgerichts zu Lotze.

Verteidigung und Bundesanwaltschaft hatten nach der mündlichen Urteilsverkündung von „Fehlern“ des Münchner Gerichts gesprochen, die eine Revision zugunsten des Verurteilten zwingend erfordere. Die bayerischen Richter haben die öffentlich geäußerte Kritik sorgfältig studiert und ihre schriftliche Urteilsbegründung dementsprechend „nachgebessert“. Daß der Bundesgerichtshof das Münchner Urteil noch verwerfen wird, glauben die Karlsruher Bundesanwälte nun selbst nicht mehr.

Der Einsatz der Kronzeugenregelung in den Verfahren gegen die in der DDR festgenommenen RAF- AussteigerInnen war als Signal gedacht. Eine Botschaft sollte es sein, die geeignet sei, „den Zusammenhalt der noch aktiven RAF-Kader draußen und in den Gefängnissen nachhaltig zu erschüttern“. Zweifler würden durch die Geständnisse der ehemaligen Militanten davon abgehalten, sich der RAF anzuschließen, argumentierte Bundesanwalt von Stahl. Diejenigen, die sich bereits strafbar gemacht hätten, würden ermuntert, „sich ebenfalls der Justiz zu offenbaren“. Die Strafe für den RAF-Aussteiger sollte daher keinesfalls zehn Jahre überschreiten. Doch statt der neun Jahre, die die Bundesanwaltschaft forderte, verhängte der Vorsitzende des bayerischen Gerichtes, Ermin Brießmann, eine zwölfjährige Freiheitsstrafe.

Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer eindringlich gemahnt, die Kronzeugenregelung „großzügig anzuwenden“, weil der „Fall Lotze Pilotfunktion“ habe. Unbeeindruckt durch die Zeugen aus Bundesanwaltschaft und Verfassungsschutz hatte das bayerische Gericht dagegengehalten, „eine Signalwirkung“ sei für das Gericht unerheblich. Im Vordergrund der umstrittenen Kronzeugenregelung stehe die Aufklärung und Prävention — eine „historisch interessante Aufklärung von Straftaten“, wie sie Lotze geliefert habe, erachteten die Münchner Richter als eher unbedeutend. Die „kriminalpolitische Wirkung“ dürfe nicht vorrangiger Zweck der Kronzeugenregelung sein. Gerade auf diese Aussagen des vorsitzenden Richters Brießmann sollte sich das Revisionsbegehren der Bundesanwälte stützen.

Das 1989 beschlossene Kronzeugengesetz hätte nicht nur den Zweck, geplante Straftaten zu verhindern und untergetauchte Militante dingfest zu machen. Es sollte auch zur Bloßlegung der Strukturen und der Aufklärung begangener Attentate dienen. In seiner Urteilsbegründung umgeht das bayerische Gericht geschickt den öffentlich angekündigten Revisionsgrund. Hatte es Ende Januar eine „kriminalpolitische Wirkung“ der Kronzeugenregelung nicht erkennen wollen, so räumt es ihr in der schriftlichen Fassung nun doch eine „mittelbare kriminalpolitische Bedeutung“ ein. Dem „sichtlichen und ernsthaften Bemühen des Angeklagten, andere RAF-Mitglieder zum Aussteigen und die RAF zum Aufhören zu veranlassen“, billigt das fünfköpfige Kollegialgericht den vorher bezweifelten „allgemeinen“ Strafmilderungsgrund zu. Zugleich legen die Richter die Meßlatte für den Strafnachlaß hoch: „Im Falle einer Beteiligung des Kronzeugen an der aufzuklärenden Straftat muß sein Aufklärungsbeitrag über das Zugestehen des eigenen Tatbeitrags hinausgehen.“ Der Gesetzestext gebiete „ausdrücklich eine Abwägung zwischen der Bedeutung der Offenbarung des Kronzeugen und dem Gewicht seiner Tat“. Auch wenn das Gericht Lotzes Geständnis und Bemühen, „ein Fortwirken der RAF nach Möglichkeit zu verhindern“, in „besonderer Weise zu seinen Gunsten“ bewertet habe, in Abwägung aller Umstände sei an einer Gesamtstrafe von zwölf Jahren kein Weg vorbeigegangen.

Mit dem Versuch, die Revision zurückzuziehen, hat sich die Bundesanwaltschaft der Argumentation des Münchner Gerichts gebeugt. In Stammheim hat sie zudem im Verfahren gegen Susanne Albrecht, die vergleichsweise geringerer Straftaten beschuldigt wird, schon in ihrem Plädoyer eine zwölfjährige Haftstrafe gefordert. Das Signal, das ursprünglich mit der Kronzeugenregelung gesetzt werden sollte, weist nun in eine andere Richtung.