Vietnamesischer Massenexodus aus Osteuropa

Nach dem Zusammenbrechen des „realexistierenden Sozialismus“ kehren 125.000 Vietnamesen ihren „Gastländern“ den Rücken/ Gründe sind wachsende Ausländerfeindlichkeit und Arbeitsplatzverlust/ Bundesregierung zahlt 3.000 DM „Prämie“ für Rückkehrwillige und das „oneway“-Flugticket  ■ Von Jean Burner

Wien. Die 125.000 Vietnamesen, die in den vergangenen Jahren in Bulgarien, der CSSR und der DDR den größten Teil der dort beschäftigten Ausländer stellten, kehren nach dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ in Osteuropa in Scharen in ihre Heimat zurück. Ausschlaggebend dafür ist neben der wachsenden Ausländerfeindlichkeit in den ehemaligen „sozialistischen Bruderstaaten“ die Tatsache, daß Vietnamesen beim Übergang zur Marktwirtschaft als einige der ersten ihre Arbeit verloren und in vielen Fällen buchstäblich vor dem Nichts stehen. Die Regierungen Bulgariens, der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik würden die „Gastarbeiter“ aus Asien am liebsten so schnell wie möglich wieder los sein.

Die bulgarische Führung hat sich bereit erklärt, die Kosten in Höhe von zehn Millionen Dollar für die Repatriierung der elf- bis zwölftausend Vietnamesen zu übernehmen, die sich noch im Lande befinden und von denen derzeit siebentausend arbeitslos sind. Auch in Bulgarien schlägt den Vietnamesen Ausländerhaß entgegen. Während die vietnamesische Botschaft in Bulgarien von kriminellen Überfällen auf ihre Landsleute, einschließlich Diplomaten, auf offener Straße spricht, bringt die bulgarische Presse die Vietnamesen regelmäßig in Verbindung mit Rauschgiftgeschäften, Prostitution und Schwarzhandel. Bei einem blutigen Zwischenfall mit der bulgarischen Polizei kamen im März zwei Vietnamesen ums Leben. Im Zentrum von Sofia fanden daraufhin regelrechte Straßenschlachten statt.

Von den 60.000 Vietnamesen, die 1989 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR lebten, sind nur noch etwa 13.500 geblieben. Gut die Hälfte von ihnen sind arbeitslos. Die Arbeitsverträge für die Vietnamesen laufen in der Regel Ende 1993 oder Ende 1994 aus.

Die Bundesregierung bietet rückkehrwilligen Bürgern der Sozialistischen Republik Vietnam eine Prämie von 3.000 Mark, das Flugzeugticket sowie dreimal 70 Prozent des zuletzt ausbezahlten Nettoverdienstes. Unterdessen häufen sich in den neuen Bundesländern die rassistischen Übergriffe gegen asiatische und afrikanische Ausländer wie Vietnamesen und Mosambikaner. Ein Wohnheim für Vietnamesen in Berlin- Lichtenberg wurde in den vergangenen drei Monaten mehr als ein dutzendmal angegriffen.

Die CSFR, bis zur sogenannten „sanften Revolution“ im November 1989 Aufenthaltsort von etwa 38.000 Vietnamesen, haben im vergangenen Jahr etwa zehntausend von ihnen verlassen.

Im laufenden Jahr sollen weitere 15.000 repatriiert werden. Arbeitslosigkeit, Steigerung der Lebenshaltungskosten, Streichung der Sozialleistungen und ein ausländerfeindliches Klima haben viele Vietnamesen veranlaßt, das Auslaufen ihrer meist auf vier Jahre begrenzten Arbeitsverträge gar nicht erst abzuwarten. Die dort Gebliebenen leben zum Teil vom Verkauf ihrer auf der Straße ausgebreiteten Waren wie Quarzuhren, Videokassetten oder Kosmetikprodukten.

Nach Angaben des tschechoslowakischen Arbeitsministeriums in Prag kassieren die vietnamesischen Behörden nach wie vor eine Steuer, die etwa zehn bis zwölf Prozent des Verdiensts der „Gastarbeiter“ ausmacht. In der ehemaligen DDR verhält es sich ebenso. Die Steuer ist für den Wiederaufbau Vietnams bestimmt. afp