Ziemlich glücklich gerädert

■ Radfahren für alle: Tombola, Tortouren und Touren von 28 bis 153 Kilometern

Ohne uncharmant sein zu wollen: Sie spinnen ein bißchen, diese RadfahrerInnen. Am wenigsten noch die 100 BremerInnen, die gestern beim „Volksradfahren“ mitmachten und ihre 28 Kilometer von Borgfeld über Fischerhude fuhren: ganze Familien, auch mit Kindern. Dieses Volk trägt Jeans oder Turnhosen, nutzt den Heimtrainer mehr zum Jacke- Aufhängen und kommt so sympathisch ins Schwärmen: Wie prima die Strecke ausgesucht, markiert und zu schaffen war! Wie gut das Gras duftete! Wie nett sie das Schild „Bitte langsam fahren, Hochzeitsnacht“ an dem Haus in Fischerhude fanden!

Aber die anderen, die Süchtigen in den bunten Outfits, den engen nahtlosen Hosen! 350 Menschen, aus Bremen, auch aus Rostock, Duisburg, Gütersloh, fuhren gestern 72, 114 oder gar 153 Kilometer und kamen klatschnaß und richtig salzverkrustet zurück nach Borgfeld. Da hatte der Bremer Radsportclub Rot-Gold Start, Ziel, Tombola und Erbsensuppe organisiert und tatsächlich auch den erfolgreichsten deutschen Radfahrer aller Zeiten, Rudi Altig, zum Anpfiff gewonnen. Nach dem tiefen Sinn ihrer schweißtreibenden Quälerei gefragt, reden zwar auch die Langstreckler von Naturerlebnis und Gemeinschaftsgefühl. Aber: Das ist nur die eine Wahrheit. Die wirklich Abhängigen brauchen das Erlebnis mit sich und mit ihrer Maschine. Und das kann auch ganz einsam sein oder drinnen: Sie haben in Keller oder Garage ihre „Rolle“, auf der sie, angespornt von Pop oder Beethoven, das Rad nach Tacho rundtreten, bis sich darunter kleine Seen bilden, auch wenn es draußen regnet oder friert. Ihr Verhältnis zur Maschine, diesem teuren, auf das Allernotwendigste reduzierten Präzisionsinstrument, ist auffallend eng. Sie gestehen, ihr Rad zu lieben. Sie finden, daß es „aufreizend“ aussieht. Sie bringen es nicht zur Reparatur, sondern in die Klinik oder zum Doc. Manche nehmen es, nach Schlamm- und Güllespritztouren, sogar noch mit unter die Dusche.

Mit der Gemeinschaft ist es eine komplizierte Sache. Durchaus: Man fährt in Gruppen und löst sich kräftesparend an der Spitze ab, nutzt den Windschatten, „lutscht am Hinterrad“ der Vorderen. Schwächere werden „mitgezogen“, Ungeduldige zurückgepfiffen. Aber kurz vor dem Ziel geht es los: „Da kommt das Tier durch.“ Da wird „gedrückt“, reingetreten, abgehängt, verausgabt. Durchaus auch, wenn es gar nicht um die Zeit geht, wie gestern: „Das ist wie Pferde vor dem Stall.“

Das wahre Geheimnis übrigens ist nicht das gewaltsame Reintreten. Wenn aus dem Hin und Her, dem Drücken und Ziehen an den festgeschnallten Pedalen ein rundes Kurbeln wird, ein gleichmäßiges Kreisen, dann, dann erst wird es gut. Dann ist der Kampf gegen den Schweinehund gewonnen. Dann sind die Tage vergessen, wo eisiger Gegenwind, Regenfahnen, Jauchespritzer und Erschöpfung die Verzweiflung wachsen lassen. Dann werden Garage oder Wümmedeich zu Orten einer verrückten Meditation: Selbstvergessen und doch ganz bei sich zu sein.

Dann geht es noch um viel mehr als um Zeiten (35, manche über 40 km/h im Schnitt, Abfahrten mit 70 km/h), um Oberschenkel-Umfang („Der Hübner hat 63 cm!“), um Strecken (Teilnehmer Nr. 40 fährt rund 10.000 km im Jahr). „Rad und Mann müssen gut aussehen“, findet Daniel Grüne vom RSC Rot-Gold, eine Kategorie völlig jenseits von Leistung und Geschwindigkeit: „Peter zum Beispiel, das ist eine einfach angenehme Erscheinung, der hat Souplesse.“ S.P.