: Alte oder neue Bauklötzchen?
■ »Stadtforum« diskutierte über die zukünftigen Planungen am Potsdamer Platz/ Kritische Rekonstruktion contra High-Tech-Architekturen
Berlin. Ein provokanter Vorschlag auf dem Berliner »Stadtforum« am vergangenen Sonnabend zum Thema »Potsdamer/Leipziger Platz« kam aus Wien: Maria Auböck, Architektin aus der Stadt Sigmund Freuds, schlug ihren Kollegen vor, es doch erst einmal mit einem »Stadt-Bauspielkasten« zu versuchen, um die assoziative Vernunft vergnüglich zu stimulieren. Das führe zu kreativen Ergebnissen. Mit den Klötzchen ließen sich modellhaft Stadtgärten und Architekturen nachbauen.
Auböcks Ideen zum Umgang mit dem Potsdamer Platz sind längst bittere Realität geworden. Klötzchenarchitekturen zum besagten Platz entstehen mittlerweile fast täglich auf den Reißbrettern. In den Büros recken sich Stein-auf-Stein-Hochhaussimulationen in den Himmel. Ganze Quartiere um dem Potsdamer/ Leipziger Platz werden eingeblockt: rechteckig, achteckig oder (klein-) kariert, wie die Ergebnisse des Frankfurter Ideenwettbewerbs derzeit im Martin-Gropius-Bau zeigen.
Zum Paradebeispiel innerstädtischer Planung zwischen den Stadthälften wurde der Potsdamer/Leipziger Platz schon im Vorfeld der Diskussion stilisiert. Einerseits stellt er das geschichtliche Zentrum dar, das trotz völliger Zerstörung durch Krieg und Sektorengrenze eine urbane Wiederbelebung erfordert. Andererseits bilden der Potsdamer und Leipziger Platz wegen ihrer Lage und als »Gelenkstelle« zwischen beiden Stadtteilen Objekte der Begierde für Investoren. »Monofunktionale Dienstleistungszentren und ästhetische Stapelwaren«, mahnte darum Hans Christian Müller, Mitglied der Lenkungsgruppe im Forum, beinhalten dabei »die Gefahr radikaler Umwertung des Platzes«. Das geplante Dienstleistungszentrum von Daimler Benz am südlichen Rand des Platzes und Konzernbauten von Sony und dem Hertie-Unternehmen könnten sich über die historischen Spuren hinwegsetzen.
Ein Platz als Mythos der Moderne
Immerhin stand der Potsdamer Platz in seiner Geschichte schon immer unter dem Primat des Wechsels wie der Temposteigerung. 1851 schlich der sogenannte »Verbinder« über den Platz. Er war ein Güterzug, der den Frankfurter, den Anhalter, den Potsdamer und den Hamburger Bahnhof verband. 1871 löste ihn die Ringbahn ab. Ein städtisches Aussehen erhielt der Platz in den neunziger Jahren. Die Trambahn fuhr über den Platz. Innenstadt und Vorstadt, barockes Berlin und moderner Westen wuchsen in der Gestaltung von Leipziger und Potsdamer Platz nach der Jahrhundertwende zum Zentrum der Metropole zusammen. Ab 1908 raste die U-Bahn unter dem Platz hindurch. 1924 mußte die erste Ampelanlage den Verkehr auf der Kreuzung regulieren, die zum Symbol für Zeit und Geschwindigkeit der Epoche wurde. Auch in der Architektur setzte sich die neue Großstadt durch. Von den Terrassen des »Café Josty« blickte man hinüber auf Erich Mendelsohns kurviges »Columbushaus«. Neonreklamen flimmerten am Centrum- Kino. Der Platz stand für den Mythos von Modernität. 1945 fiel der Potsdamer/Leipziger Platz in Schutt und Asche. Während der Teilung wurde er zum Niemandsland abgeräumt.
Für einen subtilen Umgang »mit den baulichen Hinterlassenschaften« und den »Erhalt der Denkmäler« im Bereich des Potsdamer/Leipziger Platzes plädierte in der Diskussion um die Stadtplanung der Münchener Kunsthistoriker Norbert Huse. Für Huse ist das Gebiet noch immer geprägt von der Topographie des barocken Stadtgrundrisses, ebenso existieren noch Baudenkmäler aus der Kaiserzeit, wie das Weinhaus Huth, das Hotel Esplanande und unterirdische U-Bahnlinien. Darüberhinaus, so Huse, bilden das »Kulturforum« und die Leipziger Straße als »architektonische Demonstrationen und Zeugnisse der Teilung« historische »Schichten der Nachkriegszeit.« Die zukünftigen Planungen müßten in »synergetischer Wirkung« auf die geschichtlichen Substanzen reagieren. Huse sprach sich für eine Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses und die Beibehaltung der Berliner Traufhöhe von 21,44 Metern aus.
Kein Museum am Potsdamer Platz
Nicht für den behutsamen Wiederaufbau, sondern die Bewahrung des »geschichtlichen Erbes Stadtgrundriß« trat der Architekturhistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm ein. Der Platz zeige beispielhaft die Zerstörung einer parzellierten Stadtlandschaft. Die »Lesbarkeit dieser Vernichtungen und Katastrophen« müsse in einem wiederbebauten Potsdamer/Leipziger Platz wesentlicher Teil bleiben. »Die Kenntlichkeit der zerstörten Stadt ist in den Entwürfen zu respektieren,« forderte Hoffmann-Axthelm mit Blick auf den anstehenden städtebaulichen Wettbewerb, den Stadtentwicklungssenator Hassemer noch im Juni in einem beschränkten Verfahren für 16 Architektenteams ausloben will.
Setzen sich Huses Überlegungen der Gefahr einer Musealisierung historischer Restverwertung aus, so bleibt Hoffmann-Axthelms Konzept von geballter Historizität an einem einzigen Ort fast plakativ. Das bauliche Konzept scheint zudem kaum lösbar, wie die Architekturhistorikerin Barbara Müller-Lane kritisch anmerkte. Zwar sind die Trümmer- und Abrißspuren vom Potsdamer Platz geblieben, das Oktogon des Leipziger Platzes noch sichtbar, die Ruine des Hotels Esplanande und weiter südlich das Gelände »Topographie des Terrors« als Reste der Vergangenheit vorhanden. Sie alle bedingungslos erhalten zu wollen, widerspreche aber nicht nur dem historischen Prozeß. Sie müßten eher in einem pragmatischen — nämlich fortlaufenden — Umgang mit der Geschichte in den kommenden architektonischen Anforderungen aufgehoben werden.
Vielleicht wären die innovativen Hochhausplanungen, wie sie Richard Rogers vorschlug, ein Ausweg aus der sogenannten »kritischen Rekonstruktion«. Der englische High- Tech-Architekt stellte die Ergebnisse einer städtebaulichen Studie vor, die Daimler Benz, Sony und das Herti-Unternehmen bei seinem Büro in Auftrag gaben. Danach sollte der Platz zu einem städtischen Treffpunkt, ähnlich den italienischen Piazzas, werden. Kein Park sollte entstehen, dafür werde der Platz aber vom Straßenverkehr freigehalten. Auch sieht diese Vision vor, daß gläserne Hochhäuser den Platz flankieren. Cafés, Büros und Wohnungen sorgten für eine multifunktionale Mischung. Der Verkehr würde über Schnellbahnen, die ins Innere der Gebäude schießen, geregelt. Eine Dialektik zwischen Innen- und Außenraum fände statt. An seinem Centre Pompidou (Paris) ist das Konzept aufgegangen. Ob es für den Potsdamer/Leipziger Platz reicht? Rolf R. Lautenschläger
Am 8./9. Juni geht es auf dem »Stadtforum« um das Thema: Die Region um Berlin
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