Ganz einfach ein Tagtraum

■ "Die innere Schwerkraft des Lächelns", Jürgen Müller-Othzens Performance nach nach Saint-Exupery

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Theater, wie ich es liebe: nichts zuviel und vom wenigen genug. Es beginnt um halb neun, und nach achtzig hellwach verbrachten Minuten wacht man wieder auf. Bloß ein Mensch, ein Mantel, ein Kleid. Sorgfältig dosierte Prisen Musik, und wenig Worte aus Briefen und „Kleinem Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupery, nicht süß, nicht mystisch, ziemlich „trocken“ gesprochen vom Band. Alles läßt Freiheit für das Nachschwingen auf der Bühne und in einer selbst.

Wenn es gut ist, dann sieht man mit Augen wie ein Schwamm und hört wie ein Adler und riecht gar was Lichtes, „Japanisches“. Man erkennt, aber nicht über den kombinierenden Teil des Hirns, der Symbolisches Aha-artig entschlüsselt. Passiert das doch, fand ich's ärgerlich. So, als mir mittendrin dämmerte, daß die Bildmetaphern Sand, Verkrustung, Verdorrung, Wüste, Leben auch desert storm meinen und daß Krieg aus Nicht-Leben/Nicht Lieben-Können kommt, von innen, aus dem Flüssigen. Diese aktualisierende Philosophie steckt hinter Jürgen Müller-Othzens Saint Exupery-Peformance, aber Bann und Aufmerksamkeit entstehen nicht durch sie, sondern unbeschadet von ihr.

Es gibt keine Handlung, aber die geht etwa so: Ein Mensch in einem verkrusteten riesigen Mantel aus weißverwittertem Stein, zwischen Goethestandbild und Lindberg, landet irgendwo in rieselndem Sand not, wie Saint-Exupery, als er den „kleinen Prinzen“ traf. Aus der Mantelkruste schält sich zuckend und seiner selbst nicht mächtig ein rührend Nacktes, ein zugleich junges und greisenhaftes Wesen, Kind und Tod, kahlköpfig, weiß und bloß und geht durch Metamorphosen, über die Rose im roten Kleide, den nach Wasser verdurstend Laufenden bis hin zu dem trocken hockenden Wesen, das sich am Schluß ohn Unterlaß das kahle Haupt mit Sand und Eisen statt mit quellendem Wasser tauft. Es endet offen, mit der Frage des „Kleine Prinzen“ „Was bedeutet zähmen?“. Die hatte der Fuchs schon einmal beantwortet: „Es ist eine in Vergessenheit geratene Sache: Es bedeutet, sich vertraut machen.“

Müller-Othzen ist die ganze Zeit allein mit Licht, Schatten und 80 mal 160 cm Bewegungsraum. Die Bewegungen kommen aus der Beschäftigung mit dem Butoh, der in Japan aus deutschem Ausdruckstanz und shintoistischer und buddhistischer Tradition entstand, aus der grundsätzlichen Unsicherheit bei der Gewinnung des aufrechten Ganges.

Einen der aufregendsten Momente fand ich den, wo die zuckende Mühe, aufrecht zu stehen, plötzlich zu enden scheint. Die Rose richtet sich auf unterm ziehenden Ton des Tangos und verbirgt die flatternde, tatternde Ohnmacht in den plötzlichen Exaltiertheiten röcke-raffenden Locktanzes. Und danach — Texte werden nie bebildert, sondern gehen dem Sichtbaren meist vorauf oder folgen ihm — folgt die Bankrott- und Liebeserklärung der Rose, als der „kleine Prinz“ sie verließ, gesprochen so trocken wie der Wind, der aus der Wüste kommt. „Aber ja, ich liebe dich. Du hast nichts davon gewußt. Das ist meine Schuld. Es ist ganz unwichtig. Aber du warst ebenso dumm wie ich. Versuche, glücklich zu sein...“

Es gibt keine Gags, keine Tricks. Auf was gut ist, wie dies, reagiert man sofort, Auf was nicht, auch. Othzen vergißt z.B. oft seine Hände, dann fallen sie ihm ein, dann führt er sie wohin, aber es sieht gedacht aus und manchmal wie Hund beim Betteln. Auch die vorletzte Metamorphose gefällt mir nicht, die den abflachenden Spannungsbogen dramatisch aufgipfeln soll, der Lauf des Verdurstenden ist zwischen Kintopp und Marathon. Nur der Text, der leichtfüßig nebenher läuft, erreicht sein Ziel.

Ein Theater, das nicht beflügelt, nicht behämmert wie das Kresniks, nicht unterhält und auch nicht klüger macht, das nur

Der Mensch als BruchpilotFoto: Iris Raschke

etwas anrührt und die Sinne schärft. Danach traut man sich

Hier bitte den

Glasbeißer

kaum zu klatschen, wenn der Wachtraum endet. Uta Stolle

Nächste Vorstellungen: 1./2.6.,20.30 Uhr