Ein dürftiger Schrecken

■ Ensemble Opera Brut mit »Macbeth Play 1« in der Akademie der Künste

Shakespeares Macbeth: eine blutige Angelegenheit. Die Lady Macbeth: eine provozierende Frauenfigur, die selbstbewußt, überlebensgroß ihren Ehrgeiz verfolgt und sich den Weg zur Macht von ihrem Herrn Gemahl freitöten läßt — was soll ich mir die Finger selber schmutzig machen? In der »Opera brut« namens Macbeth Play1, die am Sonntag in der Akademie der Künste aufgeführt wurde, ist Nina Goede die Lady. Sie ist es gern. In vergangenen Produktionen verkörperte sie bereits Salome, Elektra und Klytämnestra. Also ein Faible, wenn nicht eine Obsession. Man fühlt es in ihrem Spiel: Sie ist gern die töten lassende, auch tötende Frau. Sie ist gern das Raubtier, kriecht auf dem Boden, zerfleischt ihre Beute. Ihr Trieb ist absolute Notwendigkeit.

Nina Goede singt, schreit, hechelt, zerstückelt Shakespeare-Passagen, kreischt sie, würgt atemlos, jauchzt, kieksert in all dem Blut. Mit ihrer Stimme, ihrer Kehle, ihrer Lunge ist sie eine Naturgewalt, der antiken Tragödie entsprungen. Doch dann bewegt sie sich, tanzt gar — pardon! — mit der Meisterschaft einer untrainierten Mittvierzigerin. Der Blick fällt auf ihr Kostüm, eine weit ausladende Sache, golden, mal rot oszillierend, durchscheinend. Es soll sie vergrößern, zur Megäre, zum gottgleichen Ungeheuer erhöhen — aber ach, flitternd reicht es nur zum Stilverschnitt zwischen italienischer Diva und irgendeiner Märchenprinzessinnentante aus der dritten Milchstraße links im vierten Programm.

Der Blick fällt auf das Bühnenbild, schwach beleuchtete Konturen, leichentuchbedecktes Etwas, das nie aufgedeckt wird, also doch kein Geheimnis birgt, sondern einfache Staffage bleibt. Es ergibt eine ungelüftete Mischung zwischen Gruftie-Kneipen-Interieur und High-Tech-glänzendem ZDF-Ballett. Handgestricktes und die Prätentiosität des Anspruchs geben sich ein unerfreuliches Stelldichein.

Und von vorn sieht man zur Rechten wie zur Linken zwischen gewaltigen Quadern zwei glatzenbewehrte Knechte, halb Henker des Mittelalters, halb Steuermänner eines zweitklassigen Raumschiffes, ihre Maschine bedienen. Sie treiben das blutige Handwerk ihrer Herrin, der Lady Macbeth, soll uns suggeriert werden. Doch auch diese Herren beschmutzen sich ihre Finger mitnichten durch mörderisches Blut: Sie stehen vor Rechnern, Samplern, Modulatoren, Bandmaschinen. Sie sind Musiker, ihre Namen Daniel Werts und Stefan Tiedje, und sie verstehen ihr Handwerk. Sie verändern, verzerren die Stimme ihrer Herrin, sie ist ihnen Material. Sie entlocken ihren mächtigen Maschinen gekonnt die wunderbarsten, überraschendsten Klänge.

Leider verkommt vieles im Effekt. Was als Klang für sich die Phantasie des Zuhörers stimulieren und eine eigene, größere Wirklichkeit erzeugen könnte, wird durch das, was dem Auge geboten wird, festgeklopft und verflacht. Aus den stellenweise vieldeutigen Klängen wird bloßer Kommentar, ein Soundtrack zu einem beliebigen Horror-Trash-Movie. Nur — es fehlt der Film.

Vorne links hängt ein Mann, ein dürftiger Schrecken, Macbeth persönlich, stellt sich dann heraus. Ihn nimmt Nina Goede ab, um mit ihm zu tanzen, mit ihm einen Apfel zu verzehren und ihm und uns ihre schöne Brust zu zeigen. Warum? Ich weiß es nicht.Ach ja, irgendwo standen hübsche kleine Puppen von den Kollegen Kohl, Brandt, Diepgen, etc. herum. Der Wink mit dem Zaunpfahl? So aktuell ist Macbeth? Aha, staunt der Zuschauer und sieht in der dritten Reihe Kultursenator Roloff-Momin, den Financier dieser Produktion.

Falls es ein Macbeth Play 2 geben wird — ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Frau Goede: Bitte verzichten Sie auf all die Prätentionen des Äußeren und vertrauen Sie ganz auf ihre Simme, Ihre Kehle, Ihre Lunge und Ihre zwei Musiker. Die Lady Macbeth wird es Ihnen danken. Wolfgang Böhmer