Bombiger Asphalt für die „Autobahn des Todes“

Eine geplante Autobahn durchs spanische Baskenland rief die ETA auf den Plan — samt obligatem Sprengstoffterror/ Ökologische Anliegen — Erhalt einer Naturlandschaft — gerieten darüber völlig in den Hintergrund/ Das Für und Wider den Baustopp ist einer Pro-Contra-Debatte um die ETA gewichen  ■ Von Antje Bauer

Eigentlich geht es nur um ein verträumtes Tal zwischen den baskischen Dörfern Andoain und Leitzaran. Auf den Kuppen seiner Hügel liegen vereinzelt „Caserios“, Bauernhöfe, an den Abhängen wuchern ungestört Brombeerhecken, Büsche und Bäume und verwehren fast die Sicht auf das Flüßchen Leitzaran, das dem Tal seinen Namen gegeben hat. Zu steil für landwirtschaftliche Nutzung, gehört das Tal von Leitzaran zu den wenigen im Baskenland, die weder besiedelt noch beackert sind. Nur Angler kommen hierher.

Durch dieses kleine Paradies will der Kreistag der baskischen Provinz Gipuzkoa eine vierspurige Straße legen — längs durch, auf halber Höhe des Abhangs. Die neue Rasestrecke ist als Teil einer Autobahn gedacht, die ab 1993 San Sebastian mit der Hauptstadt der Provinz Navarra, Pamplona, verbinden soll. Die geplante Autobahn soll eine der unfallreichsten Straßen des Gebiets entschärfen, bislang abgelegene Regionen für den Verkehr erschließen und durch eine schnelle Verkehrsverbindung auch die sonstigen Beziehungen zu Navarra verbessern.

Bereits 1986 wurde zwischen den beiden Landesregierungen und der Bezirksregierung von Gipuzkoa ein Vorvertrag über den Bau der Autobahn abgeschlossen. Im selben Jahr gründeten Umweltschützer, Mitglieder der kleinen Linkspartei „Euskadiko Ezkerra“ und Einzelne eine Bürgerinitiative mit dem Namen „Coordinadora Antiautovia“, um den Bau der Autobahn zu verhindern. Statt eines Autobahnbaus schlugen sie vor, das gesamte Straßennetz zu verbessern und den Güterverkehr stärker auf die Schiene zu verlegen. Die betroffenen Landesregierungen von Euskadi (Baskenland) und Navarra nahmen die Vorschläge der BI nicht weiter zur Kenntnis.

Ab 1988 beteiligte sich die ETA- nahe Gruppenkoalition Herri Batasuna, stärkste Linkspartei im Baskenland und politischer Arm der ETA, an der Coordinadora. Wohl unter entscheidendem Einfluß von Herri Batasuna, welche die generelle Ablehnung der Autobahn nicht teilte, erarbeitete die „Coordinadora“ einen Alternativvorschlag, der einen Ausbau der bestehenden Straße auf vier Spuren und die Vermeidung der Kurven und Steigungen durch Tunnel und Viadukte vorsah.

Der Kreistag von Gipuzkoa ließ erneut eine Umweltstudie für das Projekt in Auftrag geben und kam zu dem für Außenstehende schwer nachvollziehbaren Schluß, daß der Bau einer neuen Straße durch das Leizaran-Tal ökologisch weniger Schäden anrichte als der Ausbau der bereits existierenden. Der hochgelegene Teil des Leitzaran-Tals, so die Argumentation, sei ohnehin ökologisch nicht wertvoll, da er seit Jahrzehnten mit einer Monokultur aus Pinien bewachsen sei. Der Bau der Autobahn werde gleichzeitig eine Wiederaufforstung mit Mischwald nach sich ziehen. Umweltschutz durch Autobahnen also. Außerdem sei die Autobahn von der Flußsenke aus ohnehin kaum zu sehen. Die Alternative der Coordinadora sei technisch nicht durchführbar, zu teuer und ökologisch gesehen schlechter.

Wieso der Ausbau der existierenden Straße vom ökologischen Standpunkt aus schlechter ist, wurde der tazlerin allerdings weder nach einem Gespäch mit Julen Goikoetxea, dem Abgeordneten für Öffentliche Arbeiten für den Kreis Gipuzkoa noch nach dem Genuß eines Publicity-Videos für die Autobahn klar, den der Kreisrat zur Verfügung stellt.

Die ETA gibt ihren Irrtum zu

Im September 1989 trat erstmalig die ETA auf den Plan: Sie legte zwei Bomben bei dem Bauunternehmen, das mit dem Bau in Navarra beauftragt worden war und bedrohte wenige Tage darauf die Arbeiten mit bewaffneten Aktionen, falls kein Moratorium beschlossen würde. Eine Gruppe baskischer Baufirmen, die den Zuschlag erhalten hatte, bekam Besuch von den Mitgliedern Herri Batasunas, die sie „baten“, die Arbeiten nicht durchzuführen. Im Dezember 1990 Jahres schlugen die Unternehmer daraufhin eine Alternativlösung für die Autobahn vor, die für Herri Batasuna akzeptabel gewesen wäre, jedoch von der Verwaltung abgelehnt wurde. Im Januar zog sich die baskische Unternehmensgruppe vom Auftrag zurück.

Seither hat sich das politische Klima erhitzt. Auf Demos gegen die Autobahn folgen Demos dafür, Gemeinden beziehen öffentlich Stellung, und die politischen Parteien (mit Ausnahme von Herri Batasuna) sprechen sich gegen die Gewalt im Baskenland aus. Gegner oder Befürworter der Autobahn wurden in der Öffentlichkeit unversehens zu Befürwortern beziehungsweise Gegnern der ETA. Dies hat sich verschärft, seit am 4. März ein Angestellter einer großen Baufirma in Valencia — der Mord wird der ETA zugesprochen — und Tage danach in Madrid in der Nähe einer anderen großen Baufirma eine Autobombe hochging. Daß die ETA am Tag nach diesem Anschlag ankündigte, die Bedrohungen seien ein Irrtum gewesen und die Gruppe sei bereit, in Zukunft davon abzusehen, wenn dadurch ein Dialog in Gang komme, beruhigte nur wenige. „Hier gibt es demokratische Spielregeln, und die müssen befolgt werden", urteilt Julen Goikoetxea. Die Kontrollen für den Zugang zu dem Kreis von Gipuzkoa in San Sebastian sind wie in einem Flughafen: Ausweiskontrollen und Handtaschendurchleuchtungen sollen vor Bomben schützen. „Wir verhandeln im Moment mit französischen, deutschen und einer italienischen Firmen über den Zuschlag“, erklärt Julen Goikoetxea. Beschlossen sei jedoch noch nichts, die Arbeiten ruhen.

Wenn auch die Fertigstellung dadurch verzögert wird, so kam die Einmischung der ETA den Institutionen politisch doch gelegen. Durch die Notwendigkeit, die demokratischen Institutionen zu verteidigen, verliert das ökologische Argument vollends an Bedeutung. Imanol Zubero etwa, Mitglied von Euskadiko Ezkerra, ist heftiger Gegner der Autobahn. Doch seit der ETA-Anschläge sagt er dies nicht mehr öffentlich, um nicht mit dieser Gruppe an einem Strang zu ziehen. Auch Euskal Herriko Berdeak, die baskischen Grünen, nehmen nicht an der „Coordinadora“ teil, obwohl sie die geplante Autobahn rigoros ablehnen. „Die ETA ist hier hereingetrampelt wie ein Elefant in einen Porzellanladen“, schimpft Roberto Serrano von den Grünen in Bilbao. „Und die Coordinadora zu unterstützen, heißt auch die ETA zu unterstützen, denn die Coordinadora hat sich von den ETA-Aktionen nie distanziert.“

Die Polarisierung des Konflikts führt andererseits zu Identifizierung mit den Aktionen der ETA. „Wenn es die Anschläge nicht gegeben hätte, wäre die Autobahn bereits im Bau“, beklagt sich Manu Gonzalez von der „Coordinadora“. Manu war von Anfang an mit dabei. „Ich habe Festivals, Zeltlager und Massenspaziergänge in die betroffene Region mitorganisiert, Eingaben und Demos gemacht, aber jahrelang hat sich der Kreisrat keinen Dreck um uns geschert“, beklagt er sich. „Erst jetzt, wo sich die ETA eingemischt hat, reden plötzlich alle davon.“

Während sich die Regierung und die ETA in die immer gleichen Grabenkämpfe versenken, bleibt für die anderen der Frust. Für Trini und Tomas zum Beispiel. Die beiden sind vor 13 Jahren aus der Stadt in ein abseits gelegenes Gehöft an der Grenze zwischen Navarra und Gipuzkoa gezogen. Ihr grauer, klobiger Caserio liegt inmitten von saftigen grünen Hügeln, auf denen Schafe weiden. Ein Nebelschleier liegt über den einsamen Wiesen, in der Küche des Caserio kommt ein Herdfeuer nur mäßig gegen die klamme Kälte an. „Wir behaupten nicht, daß der Vorschlag der Coordinadora die einzig richtige Lösung ist, aber wir wollen an der Entscheidung des Kreistags mitbeteiligt werden“, fordert Trini. „Wir wollen, daß über eine Lösung verhandelt oder ansonsten ein Referendum über die Frage durchgeführt wird. Für uns ist es anstrengend, daß sich die ETA da eingemischt hat, denn nun müssen wir noch mehr kämpfen als früher. Aber bevor es die Drohungen der ETA gab, wurden wir auch nicht zur Kenntnis genommen.“ Nach jahrelangem Kampf sind die beiden der Auseinandersetzungen müde. „Unsere Demokratie ist noch jung. Deshalb sind es die Behörden nicht gewohnt, Bürgerinitiativen zur Kenntnis zu nehmen.“

Ein paar hundert Meter hinter ihren Haus soll die neue Autobahn vorbeiführen. Meterhoch haben sich dort bereits Bagger in den Berg hineingefressen und ihn bloßgelegt. Die Arbeiter haben Angst. „Wenn ich morgens an meine Raupe gehe, überleg ich mir jedesmal, ob ich wohl hochgehe, wenn ich den Zündschlüssel herumdrehe“, sinniert ein junger Arbeiter. „Und wenn ich mit dem Auto fahre, schau ich erst einmal drunter, ob vielleicht eine Bombe da ist“, fügt ein Wachmann hinzu. Ökologisch gesehen findet er den Plan auch nicht berauschend. Sorgen hat auch der alte Baske, der sein Pferd an einem Brunnen tränkt. „Ob die Autobahn gut ist?“ fragt er in etwas stockerigem Spanisch und schaut schlau und mißtrauisch. „Ich weiß nicht, ob sie gut ist. Ich mach mir Sorgen, wie ich mit meinen Vieh von einer Seite auf die andere ziehen soll.“ Eine Brücke über den Leitzaran bildet die Grenze zwischen Navarra und dem Baskenland. Diesseits, auf der Seite Navarras, wird gerade eine Überführung gebaut, die letzten Meter Autobahn bis zur Grenze. Dort ragt die neue Straße ins Leere. In Gipuzkoa sind die Arbeiten noch nicht einmal vergeben, geschweige denn begonnen worden. „Wir werden die Straße mit allen Mitteln bauen“, versichert Goikoetxea. Es geht ums Prinzip, wie immer in Euskadi.