„Der Parteiapparat betreibt eine Desinformationskampagne“

■ Der armenische Geheimdienst-Chef Ussik über die Schwierigkeiten seines Amtes und die Zusammenarbeit mit der KGB-Zentrale in Moskau

Generalmajor Artunian Ussik ist kein neues Gesicht im armenischen Geheimdienst. Noch unter kommunistischer Herrschaft diente er dem KGB als Stellvertretender Vorsitzender. Danach avancierte er zum Innenminister der Südrepublik und inhaftierte 1988 den jetzigen Premier Armeniens, Lewon Ter-Petrossjan. Petrossjan führte damals das oppositionelle Komitee Karabach. Heute müssen beide eng zusammenarbeiten.

taz: Armenien befindet sich mit der Nachbarrepublik Aserbaidschan in einem kriegsähnlichen Zustand, und Moskau ergreift offen Partei für ihre Gegner. Was heißt das für den Chef des Geheimdienstes? Fühlen Sie sich wohl in Ihrer Haut?

Artunian Ussik: Tja, nach wie vor ist das KGB Armenien ein Teil des sowjetischen Geheimdienstes. Seit der Unabhängigkeitserklärung unseres Parlaments arbeiten wir jedoch hauptsächlich an Fragen, die unsere Republik betreffen und die für unsere Bevölkerung von Nutzen sind. 95 Prozent unserer Arbeit widmen wir den innenpolitischen Fragen, 5 Prozent liegt im Bereich Außenaufklärung. Die Kontakte zur Unionszentrale bestehen natürlich weiter. Schließlich werden wir noch allein aus Moskau finanziert.

Versorgen Sie Moskau mit Informationen über das, was hier gerade an Greueltaten passiert? Ist das nicht absurd?

Wir können dem Schicksal unseres Volkes in Karabach nicht gleichgültig gegenüberstehen. Hunderte von Frauen wurden vergewaltigt. Männer werden umgebracht oder als Geiseln verschleppt und Kinder mißhandelt. Das gesamte Volk wird aus seiner Heimat vertrieben. Wir versuchen sehr genaue Informationen zu bekommen, was wo passiert. Die geben wir sofort an unser Parlament und unsere Regierung weiter. Mit Petrossjan korrespondiere ich schriftlich und mündlich. Auch Moskau informieren wir. Leider arbeiten unsere aserbaidschanischen Kollegen mit allen Mitteln dagegen, und nicht nur sie. Der ganze sowjetische Parteiapparat betreibt eine gezielte Desinformation. Aber nicht erst seit heute, das geht schon drei Jahre so.

Sie zweifeln überhaupt nicht daran, daß Moskau seine Finger im Spiel hat?

Anfang Mai wurde in der Nacht die Bevölkerung aus vier Dörfern im Gebiet Schumschinski nach Stepanakert deportiert. Leiter dieser Operation ist der Zweite Sekretär des ZK der KP Aserbaidschans, Poljanitschko. Er hat große Erfahrungen in Afghanistan gesammelt, die er jetzt gegen das armenische Volk in Karabach anwendet. Die Interessen des Zentrums und Aserbaidschans stimmen überein. Die aserbaidschanische Spezialeinheit Omon führt ihre bestialischen Aktionen durch, und das Zentrum schweigt! Eine Delegation des sowjetischen Innenministeriums hält sich gerade in Karabach auf. Damit will man nur die Öffentlichkeit beruhigen und zeigen, daß man etwas tut. Moskau weiß sehr gut, daß das, was aus Aserbaidschan kommt, reine Desinformation ist. Selbst die Soldaten in Karabach verstehen jetzt, daß sie nur ein Spielball in den Händen dieser Politik sind.

Werden Sie nicht von Ihren Kollegen außerhalb Armeniens wie ein Aussätziger behandelt?

Ich bin der erste Leiter eines republikanischen Sicherheitsdienstes in der UdSSR, der vom Obersten Sowjet gewählt wurde. Das war am 1. September. Am 20. haben wir die Parteizellen im KGB aufgelöst, auch darin waren wir die ersten unionsweit. Bisher kamen die Leiter immer aus Moskau und wurden von oben eingesetzt. Nach wie vor versorge ich täglich Moskau mit der Wahrheit. Wir schicken ihnen mehrere Depechen täglich, und ich persönlich telefoniere mit den Leuten an der Spitze. Außer mit Gorbatschow, das gestattet mir mein Amt nicht. Mit den Führungen der anderen Republiken stehe ich auch in direktem mündlichen und schriftlichen Kontakt.

Moskau und Baku geben vor, auf der Jagd nach Guerilleros zu sein? Wo stecken die, und kooperiert der KGB mit ihnen?

Was heißt hier Guerilleros? Das sind Männer, die Waffen haben. Wenn sie ihr Dorf und ihre Familien verteidigen, sind sie dann Guerilleros? Wenn man deren Väter und Mütter erschießen oder verbrennen will und sie wehren sich, sind sie dann auch Guerilleros? Und ist es etwa kriminell, wenn sich die Zivilbevölkerung das Recht zur Selbstverteidigung nimmt? Bei den Pogromen in Sumgait und Baku, in Kirowobad und vielen Dörfern konnten Miliz und sowjetische Armee die Bevölkerung doch nicht beschützen.

Sie sitzen hier immer noch zwischen den Porträts von Lenin und Felix Dzerschinski (Gründer des sowjetischen Geheimdienstes Tscheka)? Wie lange kann das noch gutgehen?

Wenn das Volk sich im Referendum für ein unabhängiges Armenien entscheidet, können wir natürlich nicht mehr ein Teil des Unions- KGB bleiben. Wir sind fest mit dem Schicksal unseres Volkes und unserer Republik verwachsen. Dort, wo sie stehen, stehen auch wir. Lenin und Dzerschinski, sie stören mich nicht, aber helfen mir auch nicht. Ich lass' sie einfach noch hängen... Interview: Klaus-Helge Donath