Annelies, wir fahren heut' ins Blaue

Messer, die Leinwand zerschlitzen, sind dasselbe wie Straßen, die den Auewald zerschneiden  ■ Von Ulrike Hohmuth

Annelies, wir fahren heut' ins Blaue, schauen uns noch einmal Menschen an, denn wenn ich es richtig überschaue, gibt es Menschen nicht mehr lang.

Leipzigs Naturschützer haben schlechte Erfahrungen gemacht, was den Umgang mit ihrem Auewald, vielmehr mit dem, was davon noch übriggeblieben ist, betrifft. Der stadtnahe Tagebau hat bereits einen Teil verschlungen, nach wie vor fließen ungeklärte Abwässer in die grüne Lunge Leipzigs, und den Rest könnte der Biotop bekommen, wenn beispielsweise Leipzigs Verkehrsprobleme auf seinen Wurzeln ausgetragen werden, die Bundesstraße 186 durch ihn hindurchgeführt würde.

Bei einem Symposium im Leipziger Rathaus gaben Naturschützer zu bedenken, daß die Flächen für die dringend benötigte Großkläranlage, für den Ausbau der Sportstätten, Parkplätze etc. peu à peu vom Auewald abgeknapst werden könnten. Weitere Bedrohungen fürchten die Umweltschützer durch das Ausbreiten von wilden Müllhalden, ausgesetzte Nutrias haben bereits allerhand Verwüstungen angerichtet. Gegen die Reiter, die nach „Wild-West- Manier durch die Aue galoppieren, haben die Leipziger auch etwas, dagegen „sanfter Tourismus“ mag ja noch angehen.

Ein ehrenamtlicher Naturschützer erntet Beifall für seinen emotionsgeladenen Beitrag: „...oder wir warten, bis auch noch der Rest ausgestorben ist. Dann gibt es nichts mehr zu schützen. Der Auewald ist ein uns anvertrautes Kulturgut wie die Gemälde alter Meister. Messer, die Leinwand zerschlitzen, sind dasselbe wie Straßen, die den Auewald zerschneiden.“ [gut gebrüllt Löwe d.R.]

Herr Gormsen, Stadtplanungsdezernent, sagte: „Es ist klar, daß Einigkeit herrscht, wenn die Naturschützer unter sich sind. Es werden Nutzungskonflikte auftreten, wenn Interessengruppen aufeinandertreffen. Man wird kooperieren müssen. Der Autoverkehr muß aus stark bewohnten Gebieten herausgeleitet werden. Wie, das kann ich Ihnen heute noch nicht sagen, aber auch die Buhmänner, die Verkehrsplaner lernen um. An so simple Lösungen, wie Umleitung des Verkehrs ein Stückchen weiter raus durchs Grüne oder eine Stadtautobahn, denkt heute kaum noch jemand.“

Im Schlagabtausch der Argumente brach ein Vertreter vom Aueinstitut Raststadt eine Lanze für die selten gewordene Auelandschaft: „In der Bundesrepublik geht es heute nicht mehr nur darum, Auenwälder zu schützen, sondern auch zu entwickeln, indem Staumauern zurückgesetzt und durch regelmäßige Überflutungen Auenwälder wieder erzeugt werden.“ Die Bundesregierung in Gestalt ihres Umweltministeriums finanziert sogar ein fünfjähriges Forschungsprogramm zu diesem Thema.

Was die Leipziger Naturschützer angeht, so machten sie dem Landrat das Angebot, ein Projekt über Flutungsverhältnisse kostenlos zu erarbeiten. Es gibt die Idee, Flüsse, die durch den Bergbau umgeleitet wurden, an das Gebiet der Elster-Pleiße- Aue heranzuführen.

Sicher ist, daß die für Leipzig zur Verfügung stehenden Finanzen in Millionenhöhe von den Stadtplanern beansprucht werden, ehe an diese Art von Projekten gedacht werden wird. Vorerst halten Abbildungen reizvoller Auelandschaften her, die im Tagungssaal hängen, um zumindest den Ersatz für sinnliches Erleben zu haben, wie's sein könnte.

Aber noch gibt es sie, die Türkenbundlilie, eine selten gewordene botanische Kostbarkeit des Auewaldes. In einzelnen Tümpeln überlebt (noch) der Kiemenfuß, ein Kleinkrebs, ein lebendes Fossil aus der Eiszeit, der Eisvogel, zwei bis drei Brutpaare des vom Aussterben bedrohten Baumfalken, auf die klopfenden Rufe des Wendehalses wartet man im Auewald heute vergeblich. [die Revolution war gründlich d.R.]