„Alles ehemalige Thälmann-Pioniere“

Leipzigs Ausländerbeauftragter Gugutschkow — Anwalt der Ausländer/ Gegen zunehmende Fremdenfeindlichkeit  ■ Von Susann Huster

Leipzig. Ein guter Thälmann-Pionier hält Freundschaft zur Sowjetunion, übt Solidarität mit dem Volke Lenins. So lautete ein Grundsatz im Statut der Thälmann-Pioniere in der früheren DDR. Fast alle Schüler zwischen zehn und 14 Jahren waren Mitglied der sozialistischen Pionierorganisation — nach dem Prinzip des freiwilligen Zwangs. In dieser jahrzehntelangen verordneten Freundschaft zu anderen Völkern sieht Stojan Gugutschkow, der Ausländerbeauftragte der Stadt Leipzig, eine Hauptursache für die starke Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern.

„Das sind doch alles ehemalige Thälmann-Pioniere, die jetzt die Ausländerwohnheime überfallen“, sagt der 37jährige gebürtige Bulgare. „Unter dem SED-Regime wurde eine völlig verfehlte Ausländerpolitik betrieben. Probleme dieser Art durfte es eben nicht geben“, meint Gugutschkow. Das Wort Solidarität habe so über Jahrzehnte hinweg einen negativen Touch bekommen. Obwohl die 10.240 in Leipzig lebenden Ausländer nur zwei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, nehme die Fremdenfeindlichkeit gerade in Sachsen immer bedrohlichere Ausmaße an. In Frankfurt am Main beträgt der Ausländeranteil im Vergleich dazu mehr als 20 Prozent.

„In den alten Bundesländern sind Akzeptanz und Toleranz in bezug auf Ausländer durch jahrzehntelange Erfahrungen einfach viel größer als hier“, sagt Gugutschkow. Die Ausländerfeindlichkeit im Osten sei jedoch keinesfalls ein Ergebnis der Wende, sondern auch schon vorher latent vorhanden gewesen.

Soziale Not und Ausländerfeindlichkeit hängen für ihn eng zusammen. Viele hätten heute Angst, daß die Ausländer ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Irgend einen „Sündenbock“ müsse es schließlich geben. So müßten eben die Ausländer herhalten. Die Zahl der gewalttätigen Ausschreitungen beweist es. Vor allem sehr junge Leute neigten zu Gewalt gegenüber Ausländern. „Meist sind das jugendliche Arbeitslose mit niedrigem Bildungsstand“, sagt Gugutschkow. Er hofft, daß sich diese Aggressivität mit der allmählichen Verbesserung der sozialen Situation der Menschen im Osten legt. Eine Studie, die im Auftrag des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung erarbeitet worden ist, ergab, daß etwa ein Viertel der befragten Deutschen in den neuen Ländern deutlich ablehnend gegen Ausländer eingestellt ist.

Etwa ein Fünftel befürwortet der Studie zufolge eine aktive Integrationspolitik, und mehr als die Hälfte der Befragten ist gegenwärtig als ambivalent einzuschätzen.

Vor allem die Türken stoßen bei den Menschen in Ostdeutschland auf Ablehnung und Haß, obwohl ihre Zahl dort verschwindend gering ist. „Ein Zeichen dafür, daß im Osten vieles aus den alten Bundesländern einfach übernommen wird, ohne zu überlegen“, meint der Ausländerbeauftragte. Die Begriffe Scheinasylant oder Asylantenflut würden oftmals „einfach nachgeplappert“.

In den Schulen wurde zu SED- Zeiten die deutsche Vergangenheit nie gründlich aufgearbeitet. Bei den Schülern entstand so ein Wissensdefizit, das schließlich zu Äußerungen führt wie: „Alle Ausländer raus, in Lager zur Vergasung!“ Die Lehrer sind damit völlig überfordert, haben keine Erfahrung in der Argumentation gegen die Ausländerfeindlichkeit unter den Schülern. Gugutschkow hat aus diesem Grund in Leipzig ein regionales Bildungs- und Begegnungszentrum für Ausländer und Deutsche ins Leben gerufen. „Zu uns kommen sehr viele Lehrer, die sich Anregungen für die Diskussion über Ausländerfeindlichkeit mit ihren Schülern holen“, berichtet er. Sechs ABM-Stellen konnten so vom „Club Multicultura“ geschaffen werden.

Die Leipziger Polizei ist nach Meinung Gugutschkows mit dieser Situation völlig überfordert. Sie handele oft unsicher oder überhaupt nicht.

Im Freistaat Sachsen ist noch kein Polizeigesetz verabschiedet worden, das die entsprechenden Kompetenzen festlegt. „Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, daß sich die Polizei hier alles gefallen läßt. Es müssen Präzedenzfälle geschaffen werden“, sagt der Wahlleipziger. „Oftmals redet sich die Polizei auch nur heraus, wenn sie sagt, es wurde keine Anzeige erstattet.“

Gugutschkow versteht sich als Anwalt der Ausländer. Er war im Mai vergangenen Jahres der erste Ausländerbeauftragte im Osten, der sein schweres Amt antrat. „Ich war mir damals völlig bewußt, worauf ich mich da einlasse. Dieser Job ist nervenzehrend, kein Ruheposten. Dennoch habe ich seither noch nichts bereut.“ ap