Der Heimatfake

■ Heimatfotografie »Kölsch?« von Eusebius Wirdeier in der Galerie im Körnerpark

Der Wunsch, zu Fuß nach Köln zu gehen, ist mir, ehrlich gesagt, nie gekommen. Meine Geburt erledigten meine Eltern zwar in Köln, dann aber zogen sie ins Grüne, und wir bewohnten den »Froschpfad« und später das »Herdchen«, verpennte Einfamilienhausgegenden im Bergischen Land. Dort aufgewachsen, konnte ich nicht mal richtig Kölsch und fürchtete das Urteil der Städter, bei denen die Leute aus dem Bergischen als langsam und tumb galten. Weder von dort noch von Berlin aus, hat mich je die Sehnsucht nach Köln als Heimat gepackt. Der Lustigkeitsterror des Karnevals, die romanischen Kirchen und die Scherben der Römer, die ab der ersten Schulklasse die Eckpfeiler der Kölner Heimatkunde von ihrem Rande aus gesehen bildeten, die konnten mir lange gestohlen bleiben.

Wahrscheinlich ist es nun schon die Sentimentalität des Alters, verstärkt durch die süddeutsche Dominanz im Bekanntenkreis, die mich vor der Heimatfotografie von Eusebius Wirdeier plötzlich in seliges Wiedererkennen treibt. Aus der Ferne entdecke ich meine Vertrautheit mit der Stadt. Die Perspektive der gelegentlichen Besuche findet sich wieder in Wirdmeiers Annäherung an Köln. Die Stadt beginnt mit dem Weichbild von Hochhäusern hinter Kappesfeldern und den im Frühdunst qualmenden Kühltürmen der Braunkohlekraftwerke. Mehrspurige Autobahnbrücken oder breite Schienenbündel spülen den Ankommenden über den Rhein in das Innere der Straßenringe. Die touristische Kulisse läßt Wirdeier aus: Die Spitzen des Doms lugen gerade mal so über einer Unterführung oder hinter den Containern einer Baustelle hervor. Der Blick auf das katholische Köln, verkörpert in einer Fronleichnamsprozession, fällt durch das naßgespritzte Plexiglas eines Wartehäuschens der KVB. Ernüchternd bricht Wirdeier das folkloristische Image der Stadt: Selbst seine Aufnahmen des Karnevals rücken das Massenspektakel in eine erträgliche Dimension. Über kalten Klinkerfassaden liegen zwei rauchende Frauen und eine winkende Familie in den Fenstern, lachen. Zwischen ihnen baumelt ausgestopft eine Figur, vielleicht ein Soldat, jedenfalls ein Schreckgespenst des Todes. Ähnlich dem alten Relief einer Grabplatte in einer Kirchenmauer oder den Graffiti, die Naegeli auf den Beton der Stadt sprüht, erinnern diese Zeichen an die Verletzbarkeit des Menschen zwischen steinernen Manifestationen der Macht.

Wirdeier studierte in Köln Grafik, Design, Bildhauerei, arbeitete mit Künstler- und Theatergruppen. Im Zentrum seiner Intimität mit der Stadt steht die Stollwerck-Fabrik, lange Jahre Ort alternativer Kultur, bis sie 1987 abgerissen und umgebaut wurde. Auf der Baustelle, vor einem ausgeweideten Gebäudeflügel, kletterten Jugendliche über die noch gestapelten Gerüstteile. Springend von einem zum anderen Stapel, bildet ein Junge fast noch einmal den Schemen virtueller Selbstbehauptung ab, der sich daneben auf die Wand gesprüht findet. Wirdeier hat die Szene, teils gespiegelt in Pfützen, an einem nassen, grauen Tag fotografiert. Das scheint sein Lieblingswetter.

Großartige Postkartenpanoramen der Stadt am Rhein fehlen. Trotzdem ist der Fluß gegenwärtig. Eine Eisenplastik ragt mit ihrer Spitze aus dem Hochwasser; auf einer Brücke drängen sich Menschen am Geländer, die aus niedriger Perspektive gesehen zu einem schmalen Streifen Leben über der breiten Straße zusammenschmelzen; eine andere Autobahnbrücke ermöglichte den Schuß auf ein Stückchen idyllisch bewachsenes Ufer mit Radweg. Von Wirdeiers Ausstellung in Neukölln gedankenabwesend durch die Hasenheide radelnd, scheint mir plötzlich klar: Was mir fehlt, das ist der Rhein. Ach ja. Katrin Bettina Müller

Eusebius Wirdeier: Heimatfotografie Kölsch? in der Galerie im Körnerpark, Schierker Str. 8, Berlin 44, bis 7. Juli, Di.-So. 11-18 Uhr.