Keine Entwarnung für Wehrflüchtlinge

■ Sie müssen weiter bis zum 32. Lebensjahr ran

Berlin. Sogenannte Wehrflüchtlinge, also junge Männer, die vorm Barras ins entmilitarisierte West- Berlin ausbüchsten, müssen weiter mit ihrer Einberufung bis zum 32. Lebensjahr rechnen. Der Leiter des Kreiswehrersatzamtes II in Pankow, Wolfgang Steinlechner, hatte gestern Gegenteiliges erklärt und damit Verwirrung gestiftet. Steinlechner sagte, daß auch Wehrflüchtlinge, die über 25 Jahre sind, nach einer Weisung des Bundesverteidigungsministeriums nicht mehr einberufen werden sollten. Für die wehrpflichtige Allgemeinheit gilt dies schon seit Monaten. Doch nur für die Wehrflüchtlinge hatte der Verteidigungsminister eine Ausnahme gemacht, die seitdem als »Stoltenbergs Rache« bezeichnet wird.

So beeilte sich die Hardthöhe denn gestern auch, Steinlechners Aussagen zu dementieren. Er vertrete eine »Mindermeinung«, die Steinlechners Privatsache sei, sagte der Sprecher des Bonner Verteidigungsministeriums, Schattenberg. »Diejenigen, die sich der Wehrpflicht entzogen haben, werden nicht vergessen«, sagte der Sprecher. Das Kreiswehrersatzamt müsse sich an die geltenden Weisungen halten, nach denen Wehrflüchtlinge bis zum 32. Lebensjahr einberufen werden könnten.

Die »Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär« wies gestern darauf hin, daß Steinlechners neueste Ankündigung nicht zu dessen bisherigen Aussagen passe. So hatte Steinlechner erst kürzlich gesagt, daß man »zum 1. Juli 100 Wehrflüchtlinge in die Planung aufgenommen« habe. Besonders bei »Spezialbegabungen« müßten auch die älteren Jahrgänge mit der Einberufung rechnen. Steinlechners Kollege im Treptower KWEA I, Helmut Reinöhl, hat bereits im April 50 Wehrflüchtlinge einberufen. Christian Herz von der »Kampagne« sagt zu diesem Thema: »Steinlechner wiegelt ab, während Reinöhl einberuft«.

Steinlechner, der im Juni aus seinem Amt scheidet, sagte gestern, daß der Wehrpflichtigenjahrgang 1973 demnächst erfaßt und bis Anfang 1992 gemustert werden solle. In West-Berlin würden die Jahrgänge bis einschließlich 1969 rückwirkend erfaßt und gemustert. Einschließlich Juli seien seit Oktober 1990 rund 2.000 Berliner, vornehmlich aus den Ostbezirken, einberufen worden. Die ersten regulären Westberliner sollen Anfang 1992 einrücken. kotte