Zehn Fahnen pro Kopf

Notizen zum Zweiten Baltischen Film- & TV-Festival auf Dänemarks Ostsee-Insel Bornholm  ■ Aus Gudhjem Falk Madeja

„Hände hoch“, sagt John Wayne wieder einmal energisch, und er sagt es in Deutsch. Eine Horrorvorstellung für jeden wackeren Skandinavier, der bereits Satelliten-Fernsehen empfängt, denn alles darf John Wayne, nur nicht deutsch snacken. In Dänemark, Schweden und Norwegen ist jeder Film in seiner Originalsprache zu sehen und untertitelt. (Nebenbei: Auch die Südschweden werden im landeseigenen Fernsehprogramm per Schriftzeile gnadenlos mit Untertiteln versehen!)

Selbstverständlich gelingt es uns kulturlosen Deutschen sofort anzuerkennen, daß die Nordländer unglaublich respektvoll mit fremden Sprachen umgehen, und dann vergessen wir sogleich, daß es nun mal unterschiedlich ertragreich sein dürfte, für 90 Millionen deutschsprechende Zuschauer oder für fünf Millionen dänischsprechende Multikulturler zu synchronisieren. Zu vernachlässigen haben wir dabei auch, daß Dänemark Weltmeister im Prokopfverbrauch an Nationalflaggen ist, etwa zehn pro dänische Nase.

Neue Festivals, zumal solche, die wie das Zweite Baltische für Dokumentarfilm- und Fernsehproduktionen im Mai auf Dänemarks Ostsee- Insel Bornholm auf regionaler Basis funktionieren sollen, bieten Raum für Spekulationen. Schaffen sie es beispielsweise, nachbarschaftliches Mißtrauen in Interesse zu verwandeln? Oder Filme zu zeigen, die über das Bekannte hinausgehen?

Mehr als hundert Filmemacher und Fernsehleute waren dafür in die Bornholmschen Kleinstädte Gudhjem (900 Einwohner, ein Feigenbaum, Töpfer, Maler, Gastwirte) und Aakirkeby (1.600 Einwohner; der Friedhof der „Aa-Kirche“, auf dem wie üblich jedeR zweite Kofoed heißt; das Fernsehstudio des neben der Statens Filmcentral Kopenhagen zweiten Veranstalters „TV 2 Danmark“) gekommen.

Es war dänisch nett und baltische Frechheit nur selten. Die Filmemacher und TV-Leute bewegten sich in heimischen Themenbahnen, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn sie nicht auch fast ausschließlich die alten Bilder verwendet hätten. Trauer, Wut und Demonstrationswut sind ein Teil der Wirklichkeit, in der aber auch die verrückten, die ideenreichen, die trotz-allem- nicht-traurigen Typen ihren Platz haben. Ein dänischer Film zeigt es — Mein Nachbar ist ein Bär, nämlich der russische. Es ist demnach möglich, in Riga im Bewußtsein zu leben, daß die Heimat besetzt ist, und trotzdem kann man akzeptieren, daß der russische Nachbar ein zwar aufgezwungener, aber eben ein Nachbar ist. Es bleibt zu hoffen, daß auch in Polen und Rußland die Zeiten vorbei sind, in denen allein das heikle Thema aufzugreifen Beweis für filmische Kunst ist. Denn auf Dauer hat es kein Publikum verdient, nach der Ermüdung durch immer gleiche Bilder mit eben diesen auf die gleiche Weise konfrontiert zu werden.

Das andere Extrem: Eine polnische Unterhaltungs-TVlerin bestätigte, daß im polnischen Fernsehen das beste Verhalten das apolitische ist. Denn wer auch nur zu erkennen gibt, nicht zur Walesa-Fraktion zu gehören, hat seine berufliche Laufbahn verwirkt. „Ich mache nur Unterhaltung, sonst nichts“, sagt die schöne Zofia. „Sonst wäre ich ja verrückt. Damit bin ich schon zu sozialistischen Zeiten hervorragend durchgekommen.“ Daß Tutti-Frutti per Satellit bei den polnischen TV- SeherInnen am beliebtesten ist, kann man kaum noch belächeln. Die Wirklichkeit ist viel härter, als jede Dokumentation sein kann.

Vor Extremen fürchten sich nun einige Skandinavier, nicht selten arbeiten sie bei den bisherigen Mehr- oder-weniger-Monopolprogrammen.

Was das ultraflachen Scan-TV, von einem schwedischen Industriellen finanziert und in London produziert, noch nicht bewirken konnte, soll nun — wie etwa in Dänemarks TV2 — eine belebende Konkurrenz sein. Ist Schwedens Fernsehen sogar nach Aussage dort Arbeitender totlangweilig, so sieht in Dänemark schon jeder Zweite das (regional von acht Stationen eine halbe Stunde Lokalprogramm) sendende TV2. TV2 wird zu 75 Prozent aus Werbung und der Rest aus Gebühren finanziert, hat aber wegen des zum Sendebeginn vor zwei Jahren erfolgten Einkaufs eines US-Filmpakets (ist aber immer noch viel billiger als dänische Produktionen) und des Erwerbs der Rechte für die erste dänische Fußball-Division (50 Millionen) mit mindestens 100 Millionen Dänen-Kronen ein Minus.

Doch schon im Herbst, wo den bürgerlichen Parteien ein sicherer Sieg über die sozialdemokratische Minderheitsregierung vorausgesagt wird, ist in Schweden die Genehmigung für ein drittes terrestrisches privates Fernsehprogramm (TV3) zu erwarten. Beim öffentlich rechtlichen (Staats-) Fernsehen sollen schon vorsorglich deshalb bis zu 150 Menschen entlassen werden, meist in den Vorruhestand. „Hände hoch“ also auch beim schwedischen Fernsehen, die Gemütlichkeit ist bald vorbei.