Erst der Geld-Nationalist, dann der Kanzlerfreund

■ Die Koalition einigt sich auf Pöhls Vize als neuen Bundesbankpräsidenten

Bonn/Berlin (dpa/taz) — Bundeskanzler Helmut Kohl und Finanzminister Waigel haben sich jetzt auch offiziell entschieden: Neuer Präsident der Bundesbank wird zum Herbst der amtierende Vizepräsident Helmut Schlesinger. Die Vorsitzenden der Koalitionsparteien von CDU, CSU und FDP sollen, so verlautete nach einem Spitzengespräch in Bonn, diesen Vorschlag „einhellig begrüßt“ haben.

Auf den Posten des Vizepräsidenten soll das Direktoriumsmitglied der Notenbank, der frühere Bonner Finanzstaatssekretär Hans Tietmeyer (CDU), nachrücken, der dann voraussichtlich im Herbst 1993 Schlesinger wird beerben dürfen.

Die Berufung ist nötig geworden, nachdem der amtierende Bundesbankchef Karl Otto Pöhl für Oktober aus angeblich „privaten Gründen“ seinen vorzeitigen Rücktritt mitgeteilt hatte.

Das Kabinett will sich heute mit dem Kanzlervorschlag befassen: Der Bundesbankpräsident wird auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt.

Die Amtszeit des 66jährigen Schlesinger sollte eigentlich im Herbst 1992 aus Altersgründen auslaufen. In den Startlöchern für den mit 600.000 Mark Jahresgage bestbezahlten Job im öffentlichen Dienst sitzt schon länger der Ex-Staatssekretär Hans Tietmeyer. Allerdings befürchtet man gerade in internationalen Finanzkreisen, daß der 59jährige Kohl-Intimus zu wenig unabhängig von Regierungsentscheidungen sein könnte. Am 20. September 1988 verübte die RAF auf den Weltwährungsexperten aus dem Finanzministerium einen Anschlag.

Tietmeyer: Orientiert an den Vorgaben von oben

Der Mann, dem in Bonn nachgesagt wird, er vertrete immer fundiert die Linie, die von oben vorgegeben ist, wechselte erst Ende 1989 ins Bundesbankdirektorium, wurde dann aber wieder zur Vorbereitung der Währungsunion mit der DDR an die Regierung ausgeliehen. So will man wohl bei Tietmeyer zwei Jahre dazwischenschieben, in denen er sich von der aktuellen Kohlschen Tagespolitik lösen soll.

Schlesinger, der schon 1952 zur „Bank deutscher Länder“, der Vorläuferorganisation der Bundesbank, ging, genießt vor allem international einen guten Ruf. Wegen der langen Dienstjahre gilt er als Verwalter des Herrschaftswissens der Bundesbank. Von 1964 bis 1972 war er Leiter der Hauptabteilung Volkswirtschaft und Statistik.

1972 rückte er ins achtköpfige Direktorium und damit in den Zentralbankrat auf. Dieses Gremium entscheidet über die Währungspolitik der Bundesbank und bestimmt via Leitzinsen wesentlich über die Stabilität der D-Mark mit.

Innerhalb der Frankfurter Zentralbank wird Helmut Schlesinger allerdings hinter verschlossenen Türen gelegentlich als „engstirniger Geld-Nationalist“ geschmäht, dem im Alter die für das Amt des Bundesbankpräsidenten eigentlich notwendige Flexibilität im Denken abhanden gekommen sei. Donata Riedel