USA und Äthiopien — eine alte Affäre

■ Seit Jahrzehnten ist die Einheit Äthiopiens ein Ziel der US-Politik am Horn von Afrika

Berlin (taz) — Der Einmarsch der äthiopischen Oppositionstruppen in die Hauptstadt Addis Abeba erfolgte auf ausdrückliche Aufforderung der USA. Herman Cohen, Afrika- Beauftragter im US-Außenministerium, hatte nach getrennten Gesprächen mit äthiopischen Regierungs- und Oppositionsvertretern in London eine „Empfehlung“ in diesem Sinne ausgesprochen. „Die US- Regierung rät den Truppen der EPRDF, so schnell wie möglich in die Hauptstadt zu marschieren, um dort zur Stabilisierung der Lage beizutragen“, erklärte Cohen.

Der Sturz des sich sozialistisch nennenden Militärregimes in Addis Abeba wurde somit in enger Zusammenarbeit mit Washington durchgeführt. Seit dem Beginn der EPRDF- Großoffensive im Februar haben US-Vertreter enge Kontakte mit beiden Kriegsparteien gehalten, um einen geordneten Machtwechsel herbeizuführen. Selbst die Flucht des ehemaligen Präsidenten Mengistu Haile Mariam nach Simbabwe wurde sorgfältig vorbereitet. Mengistus Regierungsumbildung am 26. April soll nach Diplomatenangaben auf US-Vorschlag erfolgt sein. Damals wurde der aus Tigre stammende General Tesfaye Gibre Kidan zum Vizepräsidenten befördert; Außenminister Tesfaye Dinka, der im Juli 1990 Washington besucht und Marktwirtschaft und Demokratie gepriesen hatte, wurde Premierminister (er leitet gegenwärtig die äthiopische Regierungsdelegation bei den Londoner Verhandlungen).

Man habe Mengistu bedeutet, so will es diese Version der Ereignisse, daß seine Zeit zu Ende gehe. An ihm liege es nun, seine Nachfolge auf eine Weise zu regeln, die ein Auseinanderfallen Äthiopiens verhindere. Zum selben Zeitpunkt wurde auch die Aufnahme von Gesprächen zwischen Regierung und Opposition am 27. Mai vereinbart. Nachdem die Opposition klargestellt habe, daß sie Gespräche mit Mengistu ablehne, sei rechtzeitig vor diesem Termin die Flucht Mengistus und die Übergabe des Präsidentenamtes erfolgt.

Ob dies wahr ist oder nicht — es kann als sicher gelten, daß der Krieg um Addis Abeba ohne US-Regie viel blutiger und chaotischer verlaufen wäre. Nun, da die Opposition auch in der Hauptstadt die Kontrolle übernommen hat, stellt sich die Frage, welche Ziele die USA in dem verarmten 50-Millionen-Staat am Horn von Afrika verfolgen.

Annexion Eritreas geduldet

In der Zeit der Herrschaft von Kaiser Haile Selassie, der 1974 gestürzt wurde, war Äthiopien ein Eckpfeiler der globalen US-Militärstrategie. Seit 1953 unterhielten die USA einen Militärstützpunkt in Kagnew nahe der eritreischen Hauptstadt Asmara, dessen Personalstärke bis 1971 auf über 3.000 angewachsen war. Nie stellte Washington die Annexion Eritreas durch Äthiopien in Frage — im Militärabkommen von 1960 ist US- Unterstützung für die „territoriale Integrität“ Äthiopiens festgelegt. Während der 60er Jahre bildete auch Israel äthiopische Spezialeinheiten in Eritrea aus. Nach der Revolution 1974 wurde der Stützpunkt Kagnew zwar verkleinert, doch erhielt das neue Militärregime bis 1977 weiter US-Hilfe.

Erst danach wandte sich Addis Abeba Moskau zu, während Washington das benachbarte Somalia unter Diktator Siad Barre unterstützte. Die US-Militärpräsenz verlagerte sich auf die Insel Diego Garcia im Indischen Ozean.

Nachdem im Zuge der sowjetischen Perestroika die östliche Unterstützung Äthiopiens nachließ, besannen sich Washington und Tel Aviv wieder auf die alten Verbindungen, ohne jedoch die neugeknüpften Kontakte mit den Befreiungsbewegungen in Eritrea und äthiopischen Oppositionellen abzubrechen. Besonders nach dem Sturz des Mengistu- Freundes Erich Honecker erwärmten sich die Beziehungen zwischen Addis Abeba und dem Westen. Noch im November 1989 wurden die diplomatischen Beziehungen zu Israel wiederaufgenommen, bald waren die israelischen Militärberater im Lande zahlreicher als die sowjetischen. Nach Angaben der Eritreischen Volksbefreiungsfront lieferte Israel dem äthiopischen Militär Napalm und Splitterbomben.

Die US-Regierung begnügte sich damit, eine diplomatische Vermittlerposition einzunehmen. Bereits am 7. September 1989 hatten in Atlanta erste „Vorgespräche“ zwischen Äthiopiens Regierung und der EPLF stattgefunden; bei weiteren Treffen in Nairobi im November wurde ein Verhandlungsmodus ausgearbeitet. Bis zum Februar dieses Jahres versuchten die USA mehrmals, den Verhandlungsprozeß voranzubringen.

Die politischen Absichten Washingtons blieben während dieser Zeit unverändert: Äthiopien muß innerhalb seiner bestehenden Grenzen erhalten bleiben. Denn ein unabhängiges Eritrea würde Unsicherheiten in der Region stiften. So gilt die eritreische Küste mit ihren Häfen und Militärstützpunkten als strategisch wichtig für die Kontrolle des Roten Meeres, insbesondere für den israelischen Zugang zum Indischen Ozean. Als während der Golfkrise die anderen Anrainerstaaten des Roten Meeres, Jemen und Sudan, den Irak unterstützten, biederte sich das Regime in Addis Abeba den USA als verläßlicher Partner an.

Gleichzeitig war jedoch das Ende der Mengistu-Herrschaft abzusehen. Das Vorrücken der Rebellen bot die Gelegenheit, den Marxisten Mengistu aus dem Amt zu hieven und durch tatkräftige Anleitung der Opposition einer genehmeren Regierung an die Macht zu verhelfen. Nachdem das erste Ziel erreicht ist, ist den USA nun daran gelegen, alle politischen Kräfte Äthiopiens an einer Übergangsregierung zu beteiligen und Sezessionen einzelner Landesteile zu verhindern.

Da Washington in den inneräthiopischen Konflikten mehrmals die Fronten gewechselt hat, sind die Voraussetzungen auf diplomatischer Ebene gut: keine einzelne Gruppe in Äthiopien möchte aus dem von Washington diktierten Wandlungsprozeß ausgeschlossen werden. Um ein einheitliches Äthiopien auch den Völkern des Landes nahezubringen, werden sich die USA jedoch sehr viel stärker als bisher wirtschaftlich engagieren müssen. Konkrete Zusagen in dieser Richtung stehen bislang noch aus. Dominic Johnson