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Sozialer Zwang zur Heterosexualität

Bundestagsabgeordnete Christina Schenk (UFV) stellt eigenen Entwurf für Abtreibungsgesetz vor/ In der Bündnis 90/Grüne-Fraktion gibt's Krach/ Großes Anti-§-218-Tribunal am 8./9. Juni in Ost-Berlin  ■ Von Ulrike Helwerth

Berlin (taz) — Zoff in der Bundestagsfraktion des Bündnis 90/Grüne: Schuld ist ein Gesetzentwurf „zur Sicherung der Entscheidungsfreiheit von Frauen beim Umgang mit ungewollten Schwangerschaften“, der gestern von Fraktionsmitglied Christina Schenk (UFV) der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Abtreibungsgegner Konrad Weiß legte gegen den durch Fraktionsstatut legitimierten Alleingang der Kollegin gleichzeitig heftigen Protest ein.

Eckpunkte des umstrittenen Entwurfs sind: Ersatzlose Streichung der Paragraphen 218 und 219, statt dessen Rechtsanspruch für Frauen auf Schwangerschaftsabbruch ohne Fristsetzung, ein flächendeckendes, von der öffentlichen Hand finanziertes Netz von ambulanten Abtreibungskliniken und Rechtsanspruch von Jugendlichen und Erwachsenen auf Beratung über Sexualität und Geburtenregelung, mit Schwerpunkt auf gesundheitsfreundlichen und natürlichen Verhütungsmethoden. Die Vorlage spiegelt die aktuelle Abtreibungsdebatte in Ost und West wider und schlägt einige neue Töne in der Begründung an. So heißt es gleich zu Beginn: Eine Ursache dafür, daß ungewollte Schwangerschaften nicht völlig vermieden werden können, sei der „gesellschaftlich gesetzte Zwang zur Heterosexualität“. Dieser Zwang bewirke „nicht nur die nahezu vollständige erotisch-sexuelle Hinwendung junger Menschen zum anderen Geschlecht“, sondern führe auch dazu, „daß die vaginale Penetration, die stets mit der Möglichkeit einer Schwangerschaft verbunden ist, als unhinterfragtes Nonplusultra eines beglückenden Geschlechtslebens angesehen wird“. Andere Sexualpraktiken gälten höchstens als Ersatz oder Vorspiel für den „richtigen“ Geschlechtsverkehr. Deshalb müßten leicht anwendbare und gesundheitsfreundliche Verhütungsmittel Männern und Frauen einfach zur Verfügung stehen.

Am Donnerstag will sich die Bundestagsfraktion des Bündnis 90/Grüne den Entwurf vorknöpfen. Zu befürchten steht, daß Christina Schenk außer bei Ingrid Köppe keine ungeteilte Zustimmung findet. Konrad Weiß echauffierte sich gestern über den „radikalen Gesetzentwurf, der zur erneuten Polarisierung in dieser ohnehin schwierigen Frage beiträgt“. Innerhalb der Bundestagsgruppe habe sie „in dieser Sache keine Mehrheit“. Auch VertreterInnen der Landesorganisationen des Bündnis 90 stimmten unlängst mehrheitlich für eine gesamtdeutsche Fristenlösung à la DDR und den Ausbau der Beratung.

Am 8. und 9. Juni findet in der Humboldt-Universität in Ost-Berlin ein Anti-§-218-Tribunal statt. In Arbeitsgruppen und einer abschließenden Podiumsdiskussion wollen Frauen aus Ost und West dort Alternativen zu Fristen und Indikationen diskutieren und ihre Forderung „Streichung des Abtreibungsparagraphen“ erneut formulieren. Aufgerufen haben u.a. „FrauenBegehrenSelbstbestimmung“, die bundesweite Koordination der „Frauen gegen § 218 und der Unabhängige Frauenverband (UFV).

Anmeldung und Kontakt: Kongreßbüro, Haus der Demokratie, Raum 302, Friedrichstraße 165, O-1080 Berlin, Tel. 2291657 (Ost), Fax: 030/3947192.

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