INTERVIEW
: „Im Osten wollen viele jetzt erst mal ein Westauto“

■ Der künftige SPD-Geschäftsführer Karlheinz Blessing über die Schwächen seiner Partei, die Erwartungen im Osten und Lafontaines „postmodernistisches Erscheinungsbild“

taz: Laut 'Zeit‘ sind Sie ab sofort bei Björn Engholm für die „Dreckarbeit“ zuständig. Sind Sie das?

Karlheinz Blessing: Ich würde das nicht so nennen. Richtig ist, daß ich mich um die Parteiorganisation in Bonn und in den neuen Bundesländern kümmern muß. Da will ich Björn Engholm auch den Rücken freihalten.

Ihre Ziele?

Mit Hilfe der SPD ist im Westen in den letzten Jahren eine gewisse Modernisierung eingetreten. Die Chancen für das Ausleben der Individualität wurden vergrößert, aber die SPD hat das in ihrer Organisationsstruktur nicht nachvollzogen. Ich will helfen, die Parteiorganisation im Westen in Schwung zu bringen und im Osten eine aufzubauen.

Was läuft denn im Westen schief?

Ein Beispiel: Eine Freundin von mir wollte kürzlich das erste Mal zu einem Ortsverein gehen. Weil sie zehn Minuten zu spät kam, war die Tür schon abgeschlossen. Sie hatte den Eindruck, in einen eingeschworenen Kreis einzudringen und zu stören. Solange sich die SPD in geschlossenen Hinterzimmern trifft, wird sie in einer modernen Gesellschaft nicht landen können.

Wie wollen Sie denn die alte Tante SPD in Schwung bringen?

Ich habe die letzten sieben Jahre in Frankfurt gelebt und dort gesehen: Wir sind mit unserer Ortsvereinsstruktur an der Kommunikation in dieser Stadt nur mehr am Rande beteiligt. Meine These: Ortsvereine sind zwar noch passend im ländlichen Raum, aber in der Großstadt muß man sich was Neues überlegen. Wir müssen die Fühler ausstrecken, Plattformen organisieren, Diskussionen mit dem politischen Gegner und mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen organisieren.

Wie wollen Sie die Partei für neue Wählerschichten öffnen, und wen haben Sie dabei im Auge?

Betriebsräte, Wissenschaftler, Künstler, aber auch Unternehmer. Zum Beispiel gibt es im Management von Unternehmen Leute, die viel von einer ökologischen Umgestaltung der Industrie halten. Mit denen müssen wir ins Gespräch kommen. Unsere Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen mit ihrer Parteistruktur wirkt auf aktive Manager jedenfalls nicht sehr anziehend.

Sehen Sie keinen grundsätzlichen Interessengegensatz zwischen SPD und Unternehmern?

Natürlich ist die SPD die Vertreterin der kleinen Leute, für die die soziale Frage noch nicht gelöst ist. Deshalb gibt es auch einen natürlichen Interessengegensatz zu den Unternehmern. Aber beim Thema „Aufbau im Osten“ zum Beispiel haben die durchaus ein Interesse, mit uns zu reden.

Wie wollen Sie die Jugendlichen für die SPD zurückgewinnen?

In den siebziger Jahren entsprachen die Jusos — ich war ja auch dabei — dem Lebensgefühl vieler Jugendlicher. Heute wollen sich die meisten nicht mehr dauerhaft in einer Partei engagieren. Für bestimmte Themen, zum Beispiel Umweltschutz, sind sie aber durchaus zu interessieren. Auch da muß man sich eben neue Formen überlegen. Sowas zum Beispiel: Zu meiner IG-Metall-Zeit habe ich den „Ersten Allgäuer Computer-Club“ mitgegründet. Das ist gut angekommen.

Was wird sich in der SPD-Zentrale in Bonn ändern? Sie haben ja schon angekündigt, daß Sie „ein harter Hund“ sind und sich die Leute auf einiges gefaßt machen müssen.

Den Ruf, ein „harter Hund“ zu sein, werde ich nicht mehr los. Da hat mal einer gesagt, ich gelte als „harter Hund mit sanften Augen“. In der SPD-Zentrale stehen jedenfalls keine Entlassungen auf der Tagesordnung. Wir müssen aber sparsamer mit dem Geld umgehen. Meine Horrorvision: Wir müßten zusammen mit den anderen Parteien tiefer in die Staatskasse greifen. Das würde der Glaubwürdigkeit unserer Politik sehr schaden. Meine Ideen zur Umstrukturierung der SPD-Baracke will ich erst mit den Mitarbeitern dort besprechen. Die beste Strukturreform bringt nichts, wenn die Leute nicht motiviert sind. Es gibt einige, die darauf warten, daß man sie aus ihrer inneren Emigration herausholt.

Warum hat die SPD-Zentrale in der Partei einen solch schlechten Ruf?

In Bonn neigt man dazu, die selbstgeschaffene Realität mit der Wirklichkeit der Menschen am Arbeitsplatz zu verwechseln. Vieles wird da aufgebauscht, das fünfzig Kilometer von Bonn weg keinen mehr interessiert.

Wie wollen Sie die Partei im Osten aufbauen? Dort werfen Sozialdemokraten der Bonner SPD vor, sie stülpe ihnen ihre Struktur einfach über.

Der Aufbau der Partei im Osten ist meine Herzensangelegenheit, obwohl ich zu einer Generation gehöre, für die das geteilte Deutschland Normalität war. Wir dürfen auf keinen Fall den Sozialdemokraten im Osten unsere Struktur aufzwängen. Die Unterschiede zwischen Ost und West müssen wir als Herausforderung begreifen. Auch die Westler können dabei was lernen. Unsere politische Kultur läßt ja zum Teil auch zu wünschen übrig. Für die Leute im Osten ist es jetzt vielleicht wichtiger, ein Arbeitslosencafé zu haben, als einen SPD-Unterbezirk. Unsere Aufgabe ist die Hilfe im Alltag, aber wir müssen natürlich auch Parteistrukturen aufbauen.

Wurde auch die Öffnung der SPD in Richtung neuer Mittelschichten, eine Verlagerung auf Themen wie „Ökologie“, „neuer Arbeitsbegriff“ und „Gleichstellung von Mann und Frau“ durch das Zusammengehen mit der Ost-Partei gestoppt?

Ich sehe das Problem, daß sich die Modernisierung verlangsamt. Auch bei der gewerkschaftlichen Debatte um die Stellung der Erwerbsarbeit und flexible Arbeitszeiten sehe ich die Gefahr. Beim Thema „Gleichberechtigung“ befürchte ich sogar einen Rückschritt. Das Rollenverhalten im Osten ist noch viel altmodischer als bei uns. Da ist es zum Beispiel oft klar, daß die Frau den Kaffee serviert. Auf der anderen Seite habe ich immer schon gesagt: Die Öffnung in Richtung neuer Mittelschichten ist wichtig, aber vergeßt die Stammwähler nicht. Es stimmt nämlich nicht, daß die automatisch zur Wahlurne rennen und SPD wählen. Für die Leute im Osten trifft das sowieso zu. Wir können deshalb jetzt nicht alles so durchziehen wie geplant, nur weil es Beschlußlage ist. Da würden wir die Menschen im Osten enttäuschen. Es wird jedoch niemand bestreiten, daß Themen wie „Gleichstellung“ oder „Ozonloch und Ökologie“ nach wie vor wichtig sind. Natürlich sind die Diskussionsprozesse im Osten schwieriger, viele wollen eben jetzt erst mal ein Westauto und die dazugehörenden Autobahnen. Auch bei uns hat es sich ja nur langsam durchgesetzt, daß der öffentliche Verkehr Priorität haben muß.

War die Forderung des Modernisierers aus dem Saarland, Oskar Lafontaine, nach Einführung der Sonntagsarbeit für die inhaltliche Reform innerhalb der Gewerkschaften hilfreich?

Nein, dadurch wurde die Modernisierung zum Beispiel in der IG Metall erschwert. Die Leute haben sich wieder in die alten Schützengräben zurückgezogen. Ich habe immer gesagt: Wenn ihr so die Betriebsräte vergrault, dann geht auch eure ganze Modernisierung baden. Und im Osten ist mit einem postmodernistischen Erscheinungsbild sowieso nichts zu holen.

Was verstehen Sie denn unter einem postmodernistischen Erscheinungsbild, etwa Lafontaines Seidenhemd?

Das vielleicht auch. Ich dachte jetzt mehr an Plakate. Im Landesbüro in Potsdam hängt auch so eines: mit einer poppigen Frau drauf und irgendeinem coolen Spruch. Damit kann im Osten keiner was anfangen. Im Gegenteil: Diese fröhlichen jungen Menschen auf den Bildern wecken manchmal sogar Agressionen. Die Leute sind dort eben zur Zeit nicht so fröhlich drauf.

Verkörpert nicht auch der neue Vorsitzende Björn Engholm dieses Erscheinungsbild?

Nein, nein, er hat zwar ein Feeling für Kunst und Kultur, aber er hat schließlich auch einen anständigen Beruf, den des Schriftsetzers, gelernt. Wenn die Gewerkschaft gerufen hat, da war Björn immer da. Er ist zuverlässig, er redet nicht, bevor er denkt, und er ist nicht illoyal.

Bei Lafontaine hätten Sie nicht Geschäftsführer werden wollen?

(lacht) Er hat mich ja nicht gefragt. Interview: Tina Stadlmayer