Auftakt mit Abgang

■ Der SPD bleibt bleibt wenig Zeit für eine Rückschau auf die Ära Vogel: Neben dem Einsatz von Blauhelmen steht auch die Hauptstadtfrage auf der Tagesordnung.

Auftakt mit Abgang Der SPD bleibt bleibt wenig Zeit für eine Rückschau auf die Ära Vogel: Neben dem Einsatz von Blauhelmen steht auch die Hauptstadtfrage auf der Tagesordnung.

Wenn schon Streit, dann richtig. Von dieser Devise ließ sich wohl der SPD- Parteirat leiten, als er unmittelbar vor Beginn des Bremer Parteitages auch noch die Kontroverse um den zukünftigen Regierungssitz — inklusive Abstimmung — für Freitag aufs Programm setzte. Als hätte die Parteispitze nicht schon alle Hände voll zu tun, die erhoffte Signalwirkung des Treffens über die unausweichliche Kontroverse zwischen Pazifisten, Bellizisten und Blauhelmern zu retten, kommt jetzt noch der hoch emotionalisierte Schlagabtausch zwischen Bonn- und Berlin-Lobbyisten hinzu.

Ob angesichts dieser konfrontativen Höhepunkte am Ende noch Raum bleibt für die erhoffte Botschaft einer regierungsfähigen, deutschlandpolitisch kompetenten Partei, die in Bremen den Generationswechsel an der Spitze vollzogen hat, ist zweifelhaft. Dem stellvertretenden Vorsitzenden Wolfgang Thierse jedenfalls schwant Böses, wenn er an den Bonn-Berlin-Streit als fulminanten Schlußpunkt denkt: „Am Ende werden nur Verwundete zurückbleiben.“

Den Auftakt in der Bremer Stadthalle bestimmte einer, der seine Verletzungen — immer im Interesse der Partei — wohl zu verbergen weiß. Hans-Jochen Vogel, der mit der heutigen Wahl Björn Engholms seinen Abschied nimmt, sortierte seinen letzten Rechenschaftsbericht sorgfältig in durchnumerierte „Aktiva“ und „Passiva“ seiner nur vierjährigen Amtszeit. An keiner Stelle war ein Anflug von Bitterkeit darüber zu verspüren, daß Vogel am Ende zu dem wurde, was er bei seinem Amtsantritt 1987 ausdrücklich nicht werden wollte: ein Übergangsvorsitzender, eingezwängt zwischen dem Partei-Patriarchen Brandt und dessen ehrgeizigen Enkeln.

Brandt, der während des deutschen Vereinigungsprozesses noch einmal zur dominierenden Figur der Partei avancierte, und die Nachwuchsgeneration, die sich auch schon während Vogels Amtsperiode kräftig für die Zeit danach profilierte, ließen Vogel wenig Chancen, das Bild der Partei zu prägen. Und wo Vogel unspektakulär seine Qualitäten entwickelte, bei der Konsolidierung nach den Wahlniederlagen 1983 und 1987, die heute das bundespolitische Comeback der SPD zumindest wieder denkbar erscheinen läßt, war der innerparteiliche Spott über die Eigenheiten des Zuchtmeisters nie weit. Daß ihn die hämische Identifikation mit deutschen Oberlehrern und Klarsichthüllen gekränkt hat, merkte man auch der leicht hölzernen Jovialität an, mit der er in seiner Rede noch einmal daran erinnerte.

„SPD-Programm weiterhin aktuell“

„Am Ende überwiegt die Ermutigung“, resümierte Vogel mit gebremstem Selbstbewußtsein seine Amtszeit. Die Vereinigung von Ost- und West-SPD markierte die Spitze von Vogels Erfolgsliste. Wolfgang Thierse hatte zuvor mit der rhetorischen Frage: „Sind wir wirklich schon eine gesamtdeutsche Partei?“, auf den schwelenden innerparteilichen Ost-West-Konflikt angespielt; Vogel hingegen wollte am Höhepunkt seiner Parteizeit ebensowenig kritteln wie am Grundsatzprogramm, das 1989 verabschiedet worden war. Donnernd verwahrte sich Vogel gegen die Kritiker, die das Programm nach der europäischen Wende 89 schon für veraltet halten. Der qualitative Fortschrittsbegriff, die wechselseitige Spannung von Solidarität und fortschreitender Individualisierung oder die soziale Frage im Weltmaßstab seien aktueller denn je.

Trotzig-selbstbewußt verwies Vogel dann nicht nur auf die dominante Stellung, die die SPD in den letzten vier Jahren in Ländern und Kommunen erstritten hat; „in aller Bescheidenheit“ nehme er für sich in Anspruch, „daß die Partei wieder Tritt gefaßt hat nach 83 und 87“, wesentlich durch seine Arbeit.

Nur in dieser kurzen Offensive glaubte man einen Anflug von Enttäuschung darüber zu verspüren, daß hinter vorgehaltener Hand bereits über Vogels Abgang auch als Fraktionschef spekuliert wird. Das aber verstellt ihm nicht die Fairneß: Lafontaines Niederlage am 2. Dezember nimmt er auf die Kappe der Gesamtpartei. Der Ex-Spitzenkandidat sitzt unbewegt, ohne eine Miene zu verziehen, neben dem Podium und bestätigt damit, daß sein Verhältnis zu Vogel mit den Nominierungsquerelen um den Parteivorsitz zu Bruch gegangen ist.

So klingt dann auch in Vogels warmer Laudatio für seinen Nachfolger Engholm zugleich die Kritik an Lafontaine mit: Engholm stehe für Kontinuität und Erneuerung, wisse, daß „Führen auch dienen heißt“, habe sowohl Siege als auch Niederlagen verkraftet.

Am Ende gesteht sich Vogel dann doch das Stück Bewegung zu, das er mit der aufgeräumt vorgetragenen Rechenschaft verdeckt hat. „Ich habe der Partei viel gegeben, nicht alles, aber auch nicht viel weniger“, macht der scheidende Vorsitzende seine persönliche Bilanz auf. Er gehe mit dem guten Gefühl, daß er habe mithelfen können, „das Dasein der Menschen in unserem Land erträglicher zu machen“. Matthias Geis