Bonn als strukturschwache Region

■ Interministerielle Arbeitsgruppe: Wenn Berlin die Hauptstadt wird, bricht in Bonn die Krise aus

Bonn/Berlin (adn) — Gegen eine Verschiebung der Entscheidung über den zukünftigen deutschen Parlaments- und Regierungssitz hat sich am Dienstag der Bonner Oberstadtdirektor Dieter Diekmann gewandt. Er favorisiert den geplanten 20. Juni. In der Studie einer interministeriellen Arbeitsgruppe werden im Falle einer Entscheidung für Berlin vorwiegend negative Folgen vorausgesagt. Wie Diekmann vor der Presse erklärte, bitte die Stadt Bonn den Bundestag, wie vorgesehen am 20. Juni das Votum vorzunehmen. Gleichzeitig legte der Bonner Verwaltungschef in einem Brief an Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth dar, daß nach Meinung der Stadt ein Umzug der Verfassungsorgane nach Berlin zu mehrfacher Instabilität in der Region von Köln bis Koblenz führen werde. Bonn werde einer „schwerwiegenden Strukturkrise“ ausgesetzt, warnte Diekmann, während andererseits die sich „erfreulich entwickelnde Region von Groß-Berlin mit einer kaum steuerbaren Konzentration aller negativen Folgen für die Menschen“ fertig werden müßte.

Ähnlich Aussagen werden in einer Studie des Bundesbauministeriums getroffen. Das interne Papier, über das der Bonner 'General-Anzeiger‘ berichtete, sei für eine interministerielle Arbeitsgruppe aus sieben Ministerien bestimmt, die im Auftrag von Kanzleramtsminister Rudolf Seiters die Konsequenzen einer möglichen Verlagerung des Regierungssitzes aufzeigen sollen. In der Studie wird nach Angaben der Zeitung darauf verwiesen, daß „die wirtschaftliche Situation Bonns eindeutig durch den Regierungssitz und die damit zusammenhängenden Dienstleistungen“ bestimmt sei. Bei einem Verlust von etwa 50.000 Arbeitsplätzen in der Stadt Bonn und von 100.000 Menschen in Bonn und der Region wären „die Verluste für Stadt und Region dramatisch“.

Zu Berlin wird festgestellt, daß die deutsche Einheit der Stadt einen „außerordentlichen Boom“ gebracht habe. Die Wirtschaftsforschungsinstitute rechneten für 1991 mit einer über dem Bundesdurchschnitt liegenden günstigen Entwicklung. Es sei zu erwarten — so die Expertise —, daß Berlin und die Region ihre Funktion als europäische Metropole ausbauen könnten und zur „west-östlichen Drehscheibe — Wirtschaft, Kultur, Verwaltung — in Europa“ werde. Damit verbunden seien erhebliche „Überbelastungen“ in den Bereichen Infrastruktur, Verkehr, Schulen, Krankenhäuser sowie auf dem Wohnungs- und Bodenmarkt. Seinen Vorschlag für einen „dritten Weg“ zwischen Bonn und Berlin hat Bayerns Ministerpräsident Streibl in einem Brief an Kanzler Kohl erneuert. Die Staatsregierung in München wolle dazu beitragen, daß die Diskussion über den Regierungssitz mit rationalen Argumenten geführt und nicht nur auf die Alternative Bonn oder Berlin verkürzt werde.