Gewaltsamer Tod im gesegneten Alter

■ 80-jähriger wegen Totschlags an einer 83-jährigen vor der Strafkammer

Zur Begutachtung der Fotos vom Tatort ist der Angeklagte nicht in der Lage, nach vorne an den Richtertisch zu kommen: Der Rentner Erwin P. ist 80 Jahre alt, braucht wegen einer Unterschenkel-Prothese Gehstützen und muß sich wegen Totschlags vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Bremen verantworten. Er soll am 3. Oktober 1989 im Altenwohnheim an der Sudwalder Straße, in dem er seit 1987 wohnte, die 83jährige Mitbewohnerin Meta F. mit Todesfolge niedergeschlagen haben.

Als Meta F. im August –88 einzog, lernten die beiden sich kennen und konnten seitdem ganz gut miteinander. Als Erwin P. seiner Nachbarin am Tattag mitteilte, daß er sich mit einer fast 40 Jahre jüngeren Polin verlobt habe und nun in deren Wohnung einziehen wolle, gab es einen heftigen Streit. Meta F. „schimpfte fürchterlich über Ausländer allgemein und über die Polen“, nannte seine Verlobte eine „Hure“ und sprang dann „wie eine Hyäne“ auf ihn zu, so die Aussage des Rentners. Mit seinem Gehstock schlug er daraufhin auf die Frau ein — wohin? „Na ja, auf den Kopf halt; so genau weiß ich das nicht mehr.“ Dabei verlor er den Halt und stürzte vornüber auf die am Boden Liegende; dabei brach Erwin P. ihr auch noch die Rippen. Nachdem er sich davongemacht hatte, starb Meta F. vermutlich nach wenigen Minuten an einem Herz-und Kreislaufversagen. Frage des Richters: Haben Sie sich nicht überlegt, was der Frau pasieren konnte, die sie liegengelassen haben?“ Antwort: „So weit habe ich nicht gedacht.“

Blutverschmiert und in einem schlechten gesundheitlichen Zustand tauchte der Angeklagte wenig später in der Wohnung seiner Verlobten auf. Der tischte er zwei Tage lang die Geschichte von einem Unfall, auf, von dem er nicht mehr wisse, was eigentlich passiert sei — bis die Polizei ihn verhaftete. Sechs Wochen saß er in Untersuchungshaft.

Ob es nun die drei Schläge waren, die Erwin P. zugab, oder mindestens sieben, wie der ärztliche Gutachter ihm nachweisen kann — alleinige Todesursache waren die Schläge nicht: von Verdacht auf Herzklappeninsuffizienz, Arterienverkalkung und alter Infarktnarbe bei der alten Dame ist da die Rede. Der ärztliche Gutachter faßt zusammen: „Frau F. hatte ein gesegnetes Alter und war schwer krank. Sie hätte jederzeit ableben können.“ Todesangst und Schmerzen haben zu einem „Infarkt durch Stressgeschehen“ geführt.

Während die Staatsanwaltschaft dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe forderte, plädierte Rechtsanwalt Schlothauer auf Freispruch: Es sei „unklar geblieben, welche Einwirkungen den Tod verursacht haben. Möglicherweise war der Sturz, den Erwin P. durch seine Gehbehinderung auslöste, ausschlaggebend. Dann liegt hier keine vorsätzliche Tötung vor.“

Während Erwin P. noch bis Freitag auf die Urteilsverkündung warten muß, wird im Zuschauerraum unter Umschulungsklassen vom Arbeitsamt gewitzelt: „Mit der Vorstrafe kriegt der bestimmt keinen Arbeitsplatz mehr...“ Susanne Kaiser