Der Cop im Haus erspart den Zimmermann

■ Peter Weirs Film „Der einzige Zeuge“ um 21.00 Uhr auf Sat.1

In letzter Zeit erscheint der australische Regisseur Peter Weir zunehmend suspekt. Tarnte er seine offenbar prosperierende Einfallslosigkeit zunächst noch erfolgreich, indem er aus den rund 69 Schülerrevoltenfilmen der Kinogeschichte einen neuen namens Der Club der toten Dichter zusammenschusterte, so reproduzierte er für seinen diesjährigen Hit Green Card kackfrech den kanadischen Spielfilm Les noces de papier des Regisseurs Michel Brault, der die Thematik Scheinehe schon 1989 weitaus eleganter, feinsinniger, auch kontroverser behandelte.

So verspielte der Mann leichtfertig die Reputation, die er mit Filmen wie Picknick am Valentinstag (1975), Die letzte Flut (1977) oder Der einzige Zeuge (1985) erworben hatte. Letzter war die erste US-amerikanische Produktion des 47jährigen aus Down Under, für die er den bis dahin auf Abenteurertypen festgelegten Harrison Ford als Hauptdarsteller gewinnen konnte.

Auf den ersten Blick ein klassischer Thriller, ist Der einzige Zeuge vielmehr ein Film über die Konfrontation eines Individuums mit einer fremdartigen Kultur, ein häufig wiederkehrendes Motiv in Weirs früheren Filmen. Hier stehen die Amish People im Zentrum des Geschehens, Nachfahren von aus Deutschland und der Schweiz stammenden Einwanderern mennonitischen Glaubens, die bis heute ein streng reglementiertes Leben führen. Die Amish verzichten strikt auf die Annehmlichkeiten des technischen Fortschritts und leben sehr zurückgezogen. Ihre Religion untersagt jegliche Form von Gewaltanwendung und fordert die Einhaltung einer strengen, puritanischen Sexualmoral.

In diese kleine Gemeinschaft verschlägt es den Kriminalbeamten John Book (Harrison Ford), als ein achtjähriger Amish-Junge auf dem Bahnhof von Philadelphia zufällig Zeuge eines Mordes wird. Da die Killer selbst der Polizei angehören, ist Book ebenso gefährdet wie der Junge — der einzige Zeuge, der von den Mördern zum Schweigen gebracht werden soll. Book nimmt, immer argwöhnisch beobachtet von den Gemeindemitgliedern, am Leben der Amish teil und findet vor allem Gefallen an der verwitweten Mutter seines Schützlings (Kelly McGillis).

Books Versuche, sich im Amish- Dorf ein wenig nützlich zu machen, boten Harrison Ford Gelegenheit, seine Kenntnisse der Bautischlerei vor laufender Kamera anzuwenden. Bevor er nämlich in die Riege der Großverdiener aufstieg, hatte er sich und seine Familie mühsam mit kleinen Fernseh-, Theater- und Filmrollen über Wasser halten müssen und zwischenzeitlich die Schauspielerei an den Nagel gehängt, um als Zimmermann für ein geregeltes Einkommen zu sorgen. Erst für George Lucas American Graffiti kehrte er auf die Leinwand zurück, und das war sein Glück, denn Lucas erinnerte sich an den smarten Draufgängertypen, als er nach dem idealen Darsteller für die Rolle des Weltraumcowboys Han Solo, eine Figur seiner Star Wars-Trilogie, suchte. Der nächste Kariereschritt war Steven Spielbergs Indiana Jones. Erst Peter Weir ermöglichte dem Schauspieler eine Ausweitung seines Repertoires, das, wie er auf der Theaterbühne bereits bewiesen hatte, mehr umfaßt, als den stereotypen Welten- und Weltraumbummler. Eine „Oscar“-Nominierung für Ford in der Sparte „Bester Schauspieler“ bestätigte Weirs wagemutige Wahl im nachhinein und ermöglichte dem Schauspieler, auch weiterhin im Charakterfach tätig zu sein. Harald Keller