Der langsame Kampf der Peschmerga

Kurdische Peschmerga im Nordirak lassen zur Zeit die Waffen schweigen/ Hoffnung auf Verhandlungserfolge in Bagdad/ Die Alliierten versuchen, ihre Souveränität zu beschneiden/ Dennoch übernehmen die Kurden langsam die Kontrolle  ■ Aus Zakho Antje Bauer

Links in Salihs breitem Gürtel steckt eine Zahnbürste, auf der rechten Seite ein Suppenlöffel. Dazwischen baumeln zwei Lederetuis mit Ersatzmunition und einige Handgranaten. „Wenn man sich in den Bergen bewegt, muß man entsprechend ausgerüstet sein“, erklärt Salih fast entschuldigend. Vor fünf Jahren hat er sich entschlossen, seine Heimatstadt Dohuk zu verlassen, um sich den Peschmerga, den kurdischen Kämpfern anzuschließen. Seither hat er die meiste Zeit in den kurdischen Bergen verbracht, hat im Freien geschlafen, manchmal tagelang nichts gegessen, hat im Winter eiskalte Flüsse durchquert und Angst um seine erfrorenen Beine gehabt.

„Nicht jeder hat die physischen Vorraussetzungen, um ein Peschmerga zu sein“, räumt er ein, „man muß eine eiserne Gesundheit haben und in der Lage sein, einen Verwundeten kilometerweit auf dem Rücken zu tragen.“ Mehrmals ist er „wie durch ein Wunder“ dem Hinterhalt irakischer Soldaten entkommen — „Angst hat man immer. Aber mit der Zeit lernt man auch, sich der Gefahr entgegenzustellen.“

Auf Salihs Knien liegt seine ständige Begleiterin, die Kalaschnikow. Auch die Dutzenden Peschmerga, die hier herumstehen und -sitzen, lassen ihre Waffen nie im Stich. Doch seit die Peschmerga von den Bergen hinunter in die von den Alliierten eingerichtete Sicherheitszone gezogen sind, schweigen ihre Waffen. Wenige Kilometer hinter der nordirakischen Stadt Zakho, in einem ehemaligen Gebäude der Baath-Partei, liegt dieser erste Peschmergastützpunkt. In einem Abstand von jeweils ein paar Dutzend Kilometern folgen Richtung Osten weitere: In ehemaligen Schulen, in Verwaltungsgebäuden und Parteizentren haben sich die Kämpfer niedergelassen. Bis an die Zähne bewaffnete Männer verbringen dort den Tag mit Unterhaltungen und Diskussionen. „Die Zeit des bewaffneten Kampfes ist vorbei. Nun führen wir einen politischen Kampf“, versichert Kamal al-Kerkuki, Mitglied des Zentralkomitees der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) von Massud Barzani unter Hinweis auf die Gespräche, die Barzani mit Saddam Hussein in Bagdad führt. Al-Kerkuki ist politischer und militärischer Verantwortlicher für das Gebiet Dohuk. Den Gesprächen in Bagdad begegnet er mit erzwungenem Realismus. „Saddam Hussein ist nicht zu trauen. Aber in der Politik gibt es keine starren Trennungslinien. Man muß verhandeln. Wenn er uns wieder belügt, kämpfen wir eben wieder.“ — Al-Kerkuki ist nicht sein wirklicher Nachname, sondern heißt: Der aus Kirkuk, wegen seiner Herkunft.

Die Ölstadt Kirkuk ist einer der Hauptstreitpunkte zwischen den Kurdenführern und Saddam Hussein. „Wir wollen, daß Kirkuk, meine Stadt, in das autonome kurdische Gebiet eingeschlossen wird. Dafür kämpfen wir.“ Wenn sich Saddams Leute aus Kirkuk zurückzögen, könnte der Peschmerga seine Eltern wiedersehen, die er seit Jahren nicht getroffen hat. Doch ein Erfolg in dieser Richtung scheint sich bislang nicht abzuzeichnen. Dennoch rechtfertigt al-Kerkuki die Gespräche in Bagdad: „Wir wollten, daß die Flüchtlinge so schnell als möglich wieder zurück in ihre Dörfer können, um noch mehr Tote zu vermeiden. Wir haben den Aufstand verloren, weil sich Saddam unsere Frauen und Kinder als Ziel genommen hat. Nun muß man hoffen, daß unter Aufsicht der UNO eine autonome Region in Kurdistan geschaffen wird. Wenn die Gespräche in Bagdad gut laufen, werden die Peschmerga in ganz Kurdistan die Kontrolle übernehmen.“

Die ersten Schritte in dieser Richtung werden in diesen Wochen bereits getan. Östlich von Amadya gibt es ein Gebiet, in dem die Peschmerga vollständig die Kontrolle übernommen haben. Die früheren Würdenträger — Angehörige des Baath- Regimes — sind nach dem Rückzug der irakischen Truppen aus Angst vor Racheakten der Bevölkerung geflohen. Das Machtvakuum füllen nun die Peschmerga aus. „In Zakho haben wir ein festes Büro, an das sich Leute mit ihren Problemen wenden können“, erzählt Salih, „und hier zu unseren Stützpunkten kommen sie auch. Wenn sie einen bewaffneten Kurden sehen, dann wissen sie, das ist ein Peschmerga und wenden sich an ihn.“ Das mit den Waffen ist allerdings ein Problem. Denn die Alliierten haben vor den Städten Checkpoints eingerichtet, an denen sie alle Autos anhalten und nach Waffen durchsuchen. Sie wollen gerade vermeiden, daß Waffen in die Städte gebracht werden. Die Peschmerga, die in den ersten Tagen nach dem Rückzug der irakischen Truppen in voller Ausrüstung Ausflüge in die Städte gemacht hatten, mußten in den Tagen danach an den Checkpoints ihre Kalaschnikows hinterlegen und registrieren lassen und bekamen sie erst bei der Rückfahrt zurück. Offiziell haben sich die Peschmerga dieser Politik gebeugt. Die zahlreichen Checkpoints, die sie vor einigen Wochen in direkter Nähe der Alliierten aufgebaut hatten und an denen sie die Identität der Reisenden kontrollierten, sind zum großen Teil verschwunden. Doch insgeheim hat dieser Verlust an Souveränität Ärger erzeugt. „Wir wollen uns an der Seite der Alliierten an der Kontrolle der Städte beteiligen“, erklärt etwa der Peschmerga-Führer eines kleineren Checkpoints, „aber wie soll das gehen, wenn wir unsere Waffen nicht mitnehmen können?“

Die Kontrolle, die die Peschmerga in den Städten ausüben, stößt auf unterschiedliche Reaktionen. Zumeist herrscht Erleichterung unter der Bevölkerung, daß „jemand von ihnen“ die Macht innehat und nicht die verhaßten Saddam-Treuen. Außerdem gelten die Kämpfer als diszipliniert. Der Umgang der Kurden mit den kontrollierenden Peschmerga an deren Checkpoints ist locker und angstfrei. Dennoch sind auch Klagen zu hören, die Peschmerga verschafften sich Einlaß in Häuser, um nach Diebesgut zu suchen. Das Ergebnis solcher Razzien ist etwa im Stützpunkt der Kämpfer hinter Zakho zu suchen: In den kahlen, schmutzigen Räumen machen es sich die Peschmerga auf geblümten Sofagarnituren gemütlich. „Die gehören dem Volk“, bedeutet Salih. „Die haben wir aufgrund von Anzeigen requiriert, und wenn ihre Besitzer zurückkommen, geben wir sie ihnen zurück.“

In ein paar Tagen wird Salih seine Kalaschnikow und seine Handgranaten ablegen und nach Dahok fahren, um, zum ersten Mal seit fünf Jahren, seine Frau, seine beiden Kinder und seine Eltern wiederzusehen. Und dann? „Dann komme ich hierher zurück. Das Wichtigste ist der Dienst für mein Volk. Und unser Kampf ist noch längst nicht vorbei.“