Terror am Mittagstisch

Daß viele Eltern pädagogische Tiefflieger sind, weiß jedes Kind. Es gibt zwar bei uns den Berufsstand der Folterknechte nicht mehr, doch es gibt immer wieder Eltern, die dieses alte Metier wiederaufleben lassen. Eine der einprägsamsten Faustregeln aus Lehrbüchern der Psychologie, wonach Eltern jene Quälereien, denen sie einstmals als Kinder selbst ausgesetzt waren, an ihre eigenen Kindern weiterreichen, wird in deutschen Familien jeden Mittag unter Beweis gestellt. Die Zeitschrift 'Eltern' veröffentlichte jetzt eine Umfrage unter 2.040 Schülerinnen und Schülern von 8 bis 14 Jahren zur heimischen Nahrungsaufnahme. Was dabei herauskam, ist so abscheulich, daß hoffentlich auch amnesty international diese Interviews gelesen hat. „Ich finde es brutal, sagt da ein Elfjähriger, „wenn man gezwungen wird, etwas zu essen, was einem zum Halse heraushängt. Meine Eltern kennen da nichts. Ich muß alles in mich reinlöffeln, bis ich kotze.“ Noch schlimmer ist eine zwölfjährige Hauptschülerin dran: „Weil ich das Zeug nicht essen wollte, bekam ich es mehrere Tage immer wieder vorgesetzt, bis es am Schimmeln war.“ Eine andere wurde gezwungen, die verhaßten Nierchen runterzuwürgen, sie fand das „so schlimm, als wenn ich gefoltert würde. Ich weiß bloß nicht wofür.“

69 Prozent der befragten Kinder gaben an, sie müßten alles essen, was auf den Tisch komme. 57 Prozent müssen den Teller bis zum letzten Happen leer essen. Wer streikt, wird bestraft. Fünf Prozent erzählten, sie bekämen stehengelassenes Essen bei der nächsten Mahlzeit wieder vorgesetzt — kalt oder aufgewärmt. „Wenn ich etwas nicht aufesse“, beklagt sich eine Zwölfjährige, „bekomme ich denselben Teller beim nächsten Essen in der Mikrowelle warm gemacht. Mein Vater erzählt, als er klein war, bekam er alles noch mal, und zwar kalt, wenn er was nicht aufgegessen hatte. Diese schrecklichen Erziehungsmethoden von damals werden heute rücksichtslos an mir ausgelassen.“ Die Argumente für die grausamen Tischsitten sind uralt und heute genauso bescheuert wie früher. „Wenn ich irgend etwas nicht essen will, sagt mein Vater nur: Dritte Welt!“ sagt eine Neunjährige.

Doch die Kids fangen an, sich zu wehren. Eine 12jährige Gymnasiastin hat ein gutes Argument gefunden. „Weil die meisten Nahrungsmittel heute giftig sind, nehme ich nur das, was mir schmeckt. Und wenn ich nicht alles aufkriege, sage ich nur: ,Das Gift im Essen schadet mir.‘ Dann meckert bei uns keiner mehr.“ Karl Wegmann