piwik no script img

Die Sensation, nicht gefallen zu sein

■ Dreizehn Jahre und fünfzehn Platten — Mark E. Smith/The Fall

Tobias Levin (Cpt. Kirk &) hat am 14. Mai The Fall in Hamburg/Docks gesehen, und erzählte mir kürzlich Folgendes: die ganze Band ging übellaunig auf die Bühne, spielte drei oder vier Songs; danach ließ sich Mark E. seine Jacke geben, und vorbei war's. Das Publikum war in Rage (26 DM). Also kamen die fünf Briten zurück — und machten dasselbe nochmal. Gute Idee. Warum nicht gleich einmal mit der Zugabe anfangen? It' s a monkey-business anyway, so what' s about it? Natürlich werden sich The Fall mit derartigen Auftritten keine Freunde schaffen, aber diejenigen, die eine solche Showeinlage abstößt und dann um ihr Geld jammern, wollte Mark E. eh nie im Publikum sehen. Und so singt er in »frenz«: »My friends don' t count on one hand«. Und überhaupt, wer hat gesagt, man müsse um sein Publikum buhlen? The Fall waren nie »trendy« und schon gar nicht »trendy left wingers«, sprich pseudo-sozial engagiert. Sie waren immer gegen den Strich. Und hatten nie vor, perfektes Entertainment auf Bestellung abzuliefern.

1984 war es chic in Großbritannien, besonders für die Twens, sich mit Arthur Scargill und der Labour-Partei zusammen zu tun, um sich solidarisch mit den Zechenkumpels zu erklären, deren Entlassungen zu erwarten waren. Allen voran Billy Bragg und Paul Weller, genannt die Unsäglichen: Sie organisierten Konzerte, deren Erlöse den streikenden Minersfamilien zugute kamen. Die Zechen wurden geschlossen, die Miners arbeitslos, nur Arthur Scargill und seine Labour hatten gewonnen, an Sympathie, also Wählerstimmen. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen, Ende 1984, interviewte Mat Snow vom NME Mark E.: Smith nannte Weller und Bragg »blutige Wichser« und gab an, Tory und Thatcher zu wählen. Die gab die einmalige Schlagzeile im NME: »Mark E. Smith votes Tory — can he be sane?« Natürlich; gerade. Auch heute nennt er die Rave-Show und Jugend hirnlos. »Und das hat ihnen noch nie geschadet«. Immer wieder und immer wieder betont er, daß The Fall es nie nötig hatten, zu klauen. Den Newcomern wirft er zurecht vor, daß der Großteil von ihnen eben nichts weiter tue, als zu plagiieren, keine eigene Substanz zu entwickeln, und daß er auch möglichst kein Risiko eingeht, um bei jeder Plattenfirma landen zu können. Credo: Laß uns zwei Platten machen, eine Million einstecken und verschwinden. Wenn's funktioniert, ist dagegen auch gar nichts zu sagen. Aber die meisten Leute enden bei Illusionen wie diesen.

The Fall dagegen haben nie auf die billige, schnelle Kohle geschielt. Integrität und Glaubwürdigkeit waren ihnen von Anfang an wichtiger. So gesehen hatten sie es auch nie leicht. Erst sei Ende '86 hatten sie ein beständiges Label für ihre Platten. Die sieben Jahre davor waren sie mit fast jeder neuen LP auf einem anderen obscuren Independentlabel, was den beständigen Geldfluß natürlich erschwerte, besonders, wenn diese Label reihenweise Pleite gingen — Kamera Records oder A Step Forward. Letztere brachte die ersten beiden Fall-LP's heraus: »Live at the witch trials« und »Dragnet«.

Fünfzehn LP's sind es inzwischen, und genauso viele Lineup-Wechsel. Bis zu »This Nations Saving Grace« (1985) waren The Fall eine reine Tourband. The Fall waren nicht nur dauernd unterwegs, sondern nahmen auch ihre Platten unter grausigen Umständen zwischen Konzert und Flughafen auf. »Hex Enduction Hour« von 82 ist in Island aufgenommen, in zwei Tagen. Zu dieser Zeit sah ich sie zum ersten Mal live, und erschütternd war die Erkenntnis, daß dieselben Songs live um Längen besser waren als auf Platte. Aber das waren The Fall. Typisch. Die Tour 83 dann bin ich, ganz Fan, und sonst eh nichts los, nachgetrampt, und siehe da, jeder Gig hatte ein komplett anderes Set: »Bingo Masters Breakout« — die Single ist der Weg, ist das Ziel.

Joseph Beuys hatte einmal eine Vorlesung in New York. Ein Zuhörer fragte ihn nach seiner Definition von Kunst. Beuys antwortete: »Es muß sensationell sein, ansonsten ist es nicht der Rede wert.« Auf der neuen LP von The Fall gibt es nun einen Song namens »you haven' t found it yet«, vornweg hört man Smith' Stimme nuscheln: »Where are you going, this work has not yet reached sensation«. In einem Ton, in dem der Klassenlehrer zum ständig auf seinem Stuhl hin und her rutschenden Schüler sprechen würde, wenn dieser schon wieder mitten in der Klausur auf' s Klo will.

»Ich bin nicht sehr diszipliniert«, sagt Mark E. über sich, und man sieht ihn nervös durch' s Studio rennen — »Zwei Tage für einen Song, früher haben wir die ganze Platte in dieser Zeit geschafft« — Richtung Ausgang natürlich. Zu »Shiftwork« könnte man sage, es sei eine Altherrenplatte. Aber warum auch nicht. Schließlich haben The Fall mehr Geschichtsbezug geliefert in ihren bislang vierzehn Jahren, als jede andere pseudo-police-band. Darüber hinaus ist »Shiftwork« souverän.

Viele Leute dachten, nach dem Ex-Ehefrau Brix, die Angetraute Smith's, The Fall hinter sich gelassen hatte und Mark E. konfus Interviews gab: Jetzt fällt er endlich auch die Schnauze. Die LP »Extricate« war die Antwort: Viele der Songs handeln von Konfusion und Orientierungslosigkeit. Aber auf die Schnauze gefallen ist er nicht. Weil er sich vierzehn Jahre schon so nennt. Leute, die sich für dreißig Mark zwei Stunden von den glücklichen Montagen langweilen lassen wie von irgendwelchen Freddie&The Dreamers, brauchen sich bei The Fall nicht zu beschweren.

Um mit Beuys zu schließen: »ES muß sensationell sein, also muß ES auch dramatisch sein, weil ES eine neue Art und Weise ist, den Hamlet auf der Bühne zu spielen«. Frage aus dem Publikum (bezogen auf Jackson Pollock): »Hätte er sich jemals irren können?«. Beuys: »Nein, niemals, genauso wenig wie Elvis Presley [irres Lachen von Beuys].« — [Rauschen, Knistern ...Ende] Peter K.

Am So, 20 Uhr im Metropol

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen