Mit Kabelanschluß ins Fernsehglück

Satelliten-TV erobert neue Bundesländer/ Städte komplett verkabelt/ Wenige Firmen teilen sich Gewinne  ■ Aus Halle Steve Körner

Privilegiert waren die fast 100.000 EinwohnerInnen der halleschen Neubausiedlung Halle-Neustadt schon immer. Bereits zu DDR-Zeiten kam der Klassenfeind zu ihnen frei Haus aus der Steckdose. Die Antennen für den illegalen Feindempfang konnten gestrost verschwinden. Das zentrale Verteilernetz sprang in die Bresche, lieferte zuerst ARD, später auch ZDF in die Chemiearbeiterstuben. Sogar kostenlos.

Gleich nach der Wende aber forderten die Hallenser mehr Sender, sie riefen nach SAT und RTL, Pro 7 und Tele 5. Zugleich warfen erste bundesdeutsche Anbieter begehrliche Blicke auf die betriebsbereiten und ausbaufähigen Kabelnetze der Städte Halle, Merseburg, Weißenfels. Das Geschäft des Jahrhunderts war hier ohne große Umstände zu machen. Es hieß nur, die Netze möglichst komplett in die Hände zu bekommen. Das machte keine Schwierigkeiten. Die im Frühjahr 90 vor ihrem Ende stehenden realsozialistischen Wohnungsgesellschaften waren froh, die Kopfstationen und Kabelnetze loszuschlagen; sie brachten soviel Ärger mit unzufriedenen Nutzern. Und die Gebäudewirtschaft Halle schien in den Händen der Drahtzieher von den Kabelunternehmen. Quasi mit einem behördlichen Federstrich strich die S & K GmbH aus Dortmund einige zehntausend Kabelanschlüsse ein. Ein „Bombengeschäft“, wenn auch erst mal einige Investitionen nötig waren und weiterhin sein werden, um die von der Bundespost erteilten Auflagen in punkto Störsicherheit zu erfüllen und das altertümliche Netz auf neuesten technischen Stand zu bringen.

Die Firma des Ex-Hallensers Volker Martin, der einst ins Ruhrgebiet gegangen war, um dort sein Glück zu suchen, es nun aber ausgerechnet in Halle fand, gab sich großzügig, akzeptierte die strengen Auflagen, die ihm der Rat der Stadt machte. Erst einmal haben, erst einmal ins Geschäft kommen, lautet die Devise der Kabel-Gründerzeit. Auch im benachbarten Merseburg erhielt mit der Wuppertaler Firma Neudahm ein Bewerber den Zuschlag, der auf Jahrzehnte plant — und wie die S & K in der untersten Preisklasse zu arbeiten versprach. Bei Anschlußgebühren von zehn bis zwölf Mark bringt erst die Vertragsdauer den satten Gewinn. Allein S & K macht jährlich nur in Halle-Neustadt Umsätze von weit über vier Millionen Mark. Neudahm, vergleichsweise ein Zwerg, bringt es in Merseburg immer noch auf 300.000 Mark, womit sich alle Investitionen innerhalb von zwei Jahren amortisieren.

Aber nicht alle verkabelten Fernseher sind dankbar. Vor allem in Städten wie Merseburg bleibt den Neuteilnehmern nur die Wahl, ein komplettes Programmpaket aus rund einem Dutzend TV- und etlichen Hörfunksendern abzunehmen, oder es halt sein zu lassen. Genaugenommen besteht sogar Anschlußzwang für alle, seitdem die örtliche Wohnungsgesellschaft das Anbringen von Außenantennen oder privaten Satellitenschüsseln — ganz in guter sozialistischer Tradition — verboten hat. Wer nur die öffentlich-rechtlichen Sender zu benötigen glaubt, mußte erkennen: Ohne die Kabelkönige geht gar nichts mehr. In Halle zumindest waren die Proteste darauf so heftig, daß S & K die schon verschickten Vertragsformulare widerrufen hat und einige Klauseln streichen beziehungsweise revidieren mußte. Die Kritik einheimischer Fachleute wie Karl-Heinz Pomian, den die Firma Neudahm mit Ausbau und Betreuung des Merseburger Kabelnetzes beauftragt hat, geht tief. „Statt daß die Städte und Gemeinden dieses Geschäft mit dem Satellitenfernsehen selber machen“, beklagt der einheimische Mittelständler, der der Stadt Merseburg konkrete Pläne für eine eigene Kabelgesellschaft vorgelegt hatte, „überlassen sie das Kassieren Leuten wie Neudahm.“

Besonders ärgerlich sei das, weil „das Know-how hier doch auch zu finden ist“ und „die Städte damit eine todsichere Einnahmequelle verschenken“. Pomian hat sich mit seiner Auffassung nicht durchsetzen können. „Was mir persönlich ja egal ist“, meint er, „ich mache dieselbe Arbeit, so oder so.“ Nur daß eben die Gewinne nicht im Land bleiben, das wurmt doch.