Dreierlei Hölle

■ „Wortblutich — eine Genese in sechs Bildern“ im Lagerhaus Schildstraße

Erst ist lange Zeit nix, dann wird's eine kurze Ewigkeit arg. Erst sitzt das spärliche Publikum lange im Dunkeln, hört meditatives Atmen, dann von zwei Mischpultlern überwachtes Plätschern, Zischeln und Papierreißen. Dann geht das Licht ganz aus und zwei weißgepuderte, weitgehend nackte Männer mit untertassengroßen schwarzen Augenhöhlen, in denen rote Augäpfel starren, liegen mit verkrallten Fingern fötal hinter dem Sandkasten, der die Bühne ist, wringen sich auf zu torkelndem Gang gegen die Zuschauer. Dann wieder Dunkel.

Dann wieder hell, und den beiden Weißen, zu ägyptischen Sitzstatuen Erstarrten, entringt sich erst das Nichts, dann unartikulierte Qualtöne. Dann wieder Dunkel. Dann wieder hell, und zwei schwarz gemalte „Neger“ dehnen endlose Strippen aus den Mündern der Weißen, dann wieder Dunkel, dann wieder hell, und die Schwarzbemalten wandeln mit roten Stangen bedrohlich auf und ab und sagen wirre Zahlen und so weiter und immer so weiter.

Nach einer kurzen Ewigkeitleuchten die Schwarzbemalten den Weißbemalten mit Taschenlampen in die Münder und holen existentialen Wortsalat heraus von Nacht (Dunkel!!) und Tag (hell!!) und ich mich wortblutich und ich verstehe nicht, warum Spieler ihr Publikum mit soviel mythisierender Scheußlichkeit, expressivem Sinnverlust und bohrender Langeweile foltern. Dann verstehe ich: Dies ist die unterirdische Fabrik der Adelheid S., wo Menschen psychisch gefoltert und umgedreht werden, zu deren Stillegung Adelheid S. Oskar Lafontaine das Messer in den Hals stieß.

Irgendwann ist es vorbei, die Zuschauer gehen, und eine Frau sagt zur andern „Was sahen die widerlich aus.“

hierhin bitte

den Eiermann

Ein paar Schritt weiter an der Sielwallecke schwanken Gestalten, die ohne Schminke noch erschreckender aussehen als die bemehlten im Lagerhaus. Auch die Schwarzen sind da und dealen ungeschminkt. Eine kippende Stimme ruft: „Du widerlicher Nigger, Du Nigger“, und eine von den schwankenden Gestalten springt gekrümmt auf ein Polizeiauto zu, das vor dem Cinema vorbeifahren will. Sie macht den Polizisten irgendetwas Schreckkliches klar, was sich hinter deren Rücken abgespielt haben soll. Das Auto dreht, und ich begreife, daß ich nicht die unterirdischen Fabriken der Adelheid S. gesehen habe, sondern ein höllisches Theater, das die reale Hölle vor der Tür harmloser und besser erträglich macht. Uta Stolle

Heute noch einmal um 21 Uhr