»Das war doch nur eine Kleinigkeit«

■ Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte eine Rentnerin, weil sie eine Dekorationsnadel entwendet hatte

Tiergarten. Die alte Dame wollte ihrer Tochter etwas zum fünfzigsten Geburtstag schenken. Ihre Rente von 573 Mark monatlich erlaubt ihr dabei keine großen Ausgaben. Die Oblate, geziert mit einer goldenen »50«, entdeckt sie im Vorbeigehen auf einem Draht in einem Blumentopf, der vor einem Blumenladen stand. Der Inhaber des Geschäftes fängt sie einen Meter weiter ab, ruft die Polizei und erstattet Anzeige. Da Erna H. (Name von der Redaktion geändert), 77 Jahre alt, bereits dreimal wegen »Eigentumsdelikten« vorbestraft ist, wird das Verfahren trotz der offenkundigen Geringfügigkeit nicht eingestellt (die taz berichtete).

Gestern kam es wegen der Oblate im Wert von 2,50 Mark im Amtsgericht Tiergarten zur Verhandlung. Die alte Dame kam fast zehn Minuten zu spät, da sie sich in den Räumlichkeiten des Amtsgerichts Tiergarten nicht zurechtgefunden hatte. Sie räumte die Tat sofort ein und beteuerte, sie wolle so etwas bestimmt auch nie wieder tun. »Ich wollte es ja gar nicht machen, aber das war wirklich nur eine Kleinigkeit, das Dings da.« Es sei wirklich eine Dummheit von ihr gewesen, die Oblate sei doch außerdem gar nichts wert, der ganze Blumentopf habe 2,50 Mark gekostet.

Zu ihrer Ausbildung und zu ihrem sozialen Umfeld befragt, betonte sie nahezu verzweifelt ihre Anständigkeit. Sie habe alle Klassen der Schule besucht und als Büroangestellte gearbeitet. Ihr Enkel habe sogar ein Diplom, und außerdem: »Sie sehen ja, ich mache keinen schlechten Eindruck.« Bei ihren Ausführungen kamen ihr immer wieder die Tränen. Freunde habe sie kaum mehr, »die sind doch alle tot«.

Das Gericht zeigte sich verständnisvoll im Umgang mit der unglücklichen Frau. Trotzdem bestand der Staatsanwalt auf Bestrafung. Diebstahl sei Diebstahl und müsse gerade auch im Wiederholungsfall geahndet werden. Mildernd müsse sich aber das Alter der Angeklagten auswirken sowie die Tatsache, daß der »Schaden ja bereits wiedergutgemacht« sei. Er forderte eine Strafe von fünf Tagessätzen zu zehn Mark. Nach kurzer Beratung entsprach das Gericht dieser Forderung. Die Rentnerin muß außerdem die Prozeßkosten von rund hundert Mark tragen. Richter Weigmann nannte dies »eine mehr oder weniger symbolische Strafe«. In seiner Urteilsbegründung verwies er darauf, daß die Frau ja nicht zum ersten Mal vor Gericht stehe und wissen müsse, was für Folgen eine solche Tat nach sich ziehe. Er hoffe aber, »daß wir uns hier nicht mehr wiedersehen«. Frau H. nahm das Urteil an. »Ich habe doch keine andere Wahl«, meinte sie und versicherte dem sichtlich peinlich berührten Richter nochmals: »Ich schwöre ihnen, daß ich so etwas nicht mehr tun werde.« Nach etwa zwanzig Minuten war das Verfahren beendet. cor