Spiel mir den Film vom Tod

■ „Klassentreffen“, Mittwoch, 21.05 Uhr, ARD

50 Jahre lang hat die Gräfin Senta von Meissen die kleine Filmrolle wie einen Schatz gehütet. Jetzt ist es an der Zeit, abzurechnen. Warum sie so lange damit gewartet hat, wissen wir nicht. Werden wir auch nicht erfahren. Tiefblaue Umschläge flattern den Klassenkameraden von damals ins Haus, um sie noch einmal zusammenzurufen.

Bevor die Todgeweihten auf Schloß-was-weiß-ich eintreffen, sehen wir den Mechaniker aus dem Ort, wie er sich an den Bremsen des Jaguars zu schaffen macht und dem Lebensmittel-Lieferanten die von außen steuerbare Zentralverriegelung des Rollce in der Garage demonstriert. Der kriminalistische Ablauf dieses Spielfilms aus dem Land der Bankgeheimnisse macht dem Mechanismus einer Schweizer Uhr nicht gerade Ehre.

Dabei hätte etwas daraus werden können, aus diesem im Stil englischer Komödien angelegten Massenmord. Wenn im Speisesaal die enthüllende Super-8-Rolle der Gräfin losflackert, verstummt auf wohltuende Weise das psychologisierende Wiedersehensgequatsche. Film im Film macht sich ohnehin immer gut. Verwaschen flackernde schwarz- weiß-Bilder holen die unliebsame Vergangenheit wieder zurück.

Hand in Hand hatte man damals, auf der Abiturfahrt nach Schaffhausen, einen aufmüpfigen Kameraden aus der Mitte verbannt. Und zwar indem man ihn gemeinsam in die tosende Gischt von Vater Rhein gestoßen hat. Das hat was.

Leider läßt uns das Regisseursduo von Anfang an wissen, was wir am Ende auf diesem immer wieder unterbrochenen Film zu sehen bekommen und was daraus folgt. Die im Stil von Mord im Orientexpress neutralisierte Kollektivschuld wird als Lebenslüge entlarvt. Als Lösung fungiert ein weiteres Genremuster aus der Feder von Agatha Christie, der serielle Mord nach dem 10-kleine- Negerlein-Prinzip.

Das Ganze als schwer moralische Metapher auf ungesühnte Nazi-Verbrechen, bei denen sich auch kein Einzelner schuldig wähnte, weil er ja in der Masse aufgehoben war. Was uns durch die Situation des Händchenhaltens so einige allzu gut gemeinte Anspielungen mehr als eindeutig aufs Auge gedrückt wird.

Eine halbherzige Genremixtur als Folie für psychologisierende Auspackerei — schlimmer hätte es nicht kommen können. Es gibt immer wieder Regisseure, die nicht verstehen, daß man sich beim Genre nicht wie in einem Feinkostladen bedient.

Die intendierte Aussage des Films wirkt vor dem Hintergrund der gewählten Form so deplaziert wie eine Eisrevue als Hungergala für kurdische Flüchtlinge. Ruft man sich ferner in Erinnerung, daß die schuldigen Greise ein sozial erfolgreiches Leben hinter sich gebracht haben, so erscheint der gesellschaftliche Aspekt dieser verspäteten Rache geradezu wie eine unfreiwillige Farce. Senta von Meissen ist eben nicht Charles Bronson. Manfred Riepe