Dat is Vatikan!

■ Zum Ernst-Waldau-Theaterdonnerwetter: / Ein Bericht von der Sturmfront

Ein gutes Hundert erregter Leute balgten sich, mit Piff und Paff, in der engen GaDeWe. Sie übergossen einander mit siedenden Verwünschungen und gaben sich harte Argumente auf die Köpfe und erstachen einander mit gespitzten Worten. Dann sprach einer das Schlußwort, und sogleich strebten die Streithühner friedlich gackernd hinaus in den milden Waller Donnerstagabend.

Seit März rüstet im angeschlagenen Ernst-Waldau-Theater ein aufrührisch' Häuflein gegen die Leitung. Es fordert ein gutes speziell niederdeutsches Theater, und es fordert: nieder mit dem dilettantischen Mischmasch! Jetzt endlich stellten sich die Angegriffenen, in persona Königin Waldau-Andersen, Vizekonsul Wessels; und die Leitung sprach in einem fort: Alles gar nicht wahr, bzw. ganz anders! Alles gelogen, bzw. phantasiert! Beweise! Und du, Jürgen Kropp, sprach die Leitung, du sprichst von Zuschauerschwund, und warst du aber dabei? Leibhaftig im Saal? Augenzeuge des Schwundes? Nein!

Infolgedessen war die Not bald groß und der Saal verwickelt in advokatische Scharmützel: bleiben die Leute weg, weil weniger Originalplatt gespielt wird und das wenige ohne z.B. die große alte Erika Rumsfeld? Oder aber obwohl? Bleiben überhaupt die Leute weg? Die Leitung hatte eine eigene Statistik dabei zum Gegenbeweis. Leider reimten sich darin die Prozente nicht auf die absoluten Zahlen, und der Niederdeutsche Bühnenbund hat seinerseits ganz andere (s. taz von gestern).

Worauf von neuem das Gezänk anhub, und die Wahrheit liegt für immer von Bühnennebel umhüllt, weil unversehens Dr. Gäthjens, der gefürchtete Vorsitzende des Goethebundes, aufstand und en suite mehrere Reden hielt und den süßen Honigseim der Versöhnung ins Publikum träufte, bis es endlich ermattete.

Da aber fuhr Ulrich Reineking- Drügemöller, der Donnerer, drein und predigte vom Tresen herab Ermutigung. Alles Sülze, rief er. Klar, daß Theaterleute zänkischer sind als andere. Und intriganter und krawallöser, rief er. Aber das muß rausdürfen und ausgestritten werden. Während, sagt er, hier im Theater die kaputteste Giftschwüle herrscht. Da steht Herr Ehlers auf, Vorstandsvorsitzender des gescholtenen Trägervereins. Im Triumph erzählt, daß vortags die Leitung eilends eine Betriebsversammlung einberufen hat, 120 Leute, und daß, nach den Referaten der Leitung, doch alle hätten reden dürfen und daß keiner hat!

„Das ist doch das Schreckliche“, donnert Reineking. Und ein Schauspieler bekennt, es hätten alle Angst. „Nein!“ bellt es da aus der Ecke, und Wessels' prächtiger Schurkenschnauzer sträubt sich: „Stimmt nicht!“ Grummeln im Saalvolk. Die meisten sind Theaterleute, teils Königstreue, teils Empörer. Warum ist dann, ruft Reineking, ein brisanter Abschiedsbrief im Giftschrank? „Dat is Vatikan!“

Den wollte keiner lesen,schreit Ehlers. Umso schlimmer, schreit Reineking. Ha! macht Ehlers, liest er eben vor. Frank Grupe, junges Theatermultitalent, hat bittre Worte gewählt: unerträgliche Atmosphäre, „despotische Leitung“, „Willkür“, erbärmliches Niveau auf der Bühne. Im Saal schlucken die Leute.

Hinterher sind alle zufrieden. Es ist jetzt zweifellos alles gesagt. Manfred Dworschak

nächste Runde: am Freitag, 7.6., um 18 Uhr im taz-Zelt auf der Breminale