Mit der Hacke gezogen

■ Labiches »Das Sparschwein« in der Volksbühne

Neuerdings versucht auch Eugene Labiche, auf der Höhe der Zeit zu sein. Als 1815 in Paris Geborener, bezieht er in seiner 1864 verfaßten Vaudeville-Komödie La Cagnotte (Das Sparschwein) , Stellung zu den deutschen Wendeereignissen. Er schildert den tragischen Werdegang des Provinzlers, der gewaltsam auf Republik- und Hauptstadthöhe gehoben wird.

Man ahnt, wer hier Eugene Labiche zu Zeitgenossenschaft verholfen hat. Der Spezialist in Sachen Gesellschaftsparaphrase, Botho Strauß, hat Labiches Vaudeville-Komödie salonfähig gemacht bzw. ihr gerade ihren Salon-Kömodien-Charakter entzogen, um sie volksbühnenfähig zu machen, er hat ihren »sozialen Aspekt« ausgebaut und verstärkt.

Im Zuge dieser »Akzentverschiebung« bei gleichzeitiger Grenzüberschreitung von Frankreich nach Deutschland erfuhr der komödieninterne Motor der gesellschaftlichen Begegnung und Bewegung nach Strauß' Vorschlag eine entscheidende Transformation: Aus der »Spielkasse« des Franzosen wurde das deutsche »Sparschwein«. »Das Abenteuer der Komödie wird ausschließlich von diesem Sonderfonds, dem Sparschwein-Kapital, das sich aus Abgaben beim Kartenspiel angesammelt hat, in Bewegung gesetzt. Eine Vergnügungsreise nach Paris, in die Hauptstadt der Welt, wird mit diesen Mitteln bestritten — und sie endet in der Schreckensvision eines finanziellen Ruins von katastrophalen Ausmaßen.«

Ohne die dramaturgischen Grundentscheidungen diskutieren zu wollen, die sich aus der Umdeutung der Spielkasse ins Sparschwein und ihren Folgen für das Spielverhalten ergeben: Auch wenn die Akteure auf der Volksbühne von »Bouillotte« reden, wenn sie Karten spielen, ist ihre Art zu spielen unverwechselbar volksbühnendeutsch. Siegfried Höchsts Inszenierung zielt offenbar auf eine bestimmte fiktive Sparversion des Provinzlers, der bei seinem Hauptstadtbesuch nicht mal die psychologische Spannweite des Second- Empire-Spießers entwickeln darf.

Anläßlich ihrer Erstaufführung wurde an dieser Komödie ihre »Modernität« hinsichtlich der realistischen Wahrscheinlichkeit gerühmt: »La Cagnotte, das ist zwar immer noch der ‘Florentinerhut‚, aber es ist der ‘Florentinerhut‚ nach der ‘Kameliendame‚, nach der ‘Madame Bovary‚, nach den experimentellen Studien Taines...«. Die Anlage zu realistischer Wahrscheinlichkeit hat die hiesige Inszenierung in eine vorgefaßte Kleinkariertheit übersetzt, in der sich der Provinzler selbst unterbietet. Botho Strauß' angebliche »Bemühungen um eine psychologische Einrichtung dieser Gruppen- Totale«, die zur Folge haben sollte, »daß das Gemütsleben dieser Figuren mit uneingeschränktem, gewichtigem Ernst zu behandeln war«, bietet eine klischeehafte Überzeichnung von Kleinbürgern in ihrem »urtümlichsten, gleichsam naturhaften Zustand«: der im Text angelegte Witz wird mit Regenschirmgefuchtel totgeschlagen, jede mögliche psychologische Plausibilität mit der Hacke in die Karikatur gezogen.

Und selbst Ulrich Plenzdorfs Songs, die zwischen den Akten dem Spiel rund ums Sparschwein jene Olle-Schrippen-Aktualität verleihen soll, werden trotz Orchesterbegleitung so unberlinisch unspritzig über die Rampe gebracht, daß dem, die ersten fünf Reihen füllenden, Premierenpublikum die Hände in der Luft vor dem Aufeinanderfallen gefrieren. Michaela Ott