Blumen sind Freunde

■ Eine unmaßgebliche geisteswissenschaftliche Betrachtung

Ich habe eine Monographie über

eine gewisse Pflanzenart geschrieben. (Freud)

In immergrünen Flaschen wartet das »Berliner Pilsener« auf durstige Kehlen. Gekrönt ist das vortreffliche Bier von einer feinporigen weißen Blume und erfreut den betrunken schwitzenden Westonkel. Statt Bonbons hat er diesmal Benjamin Blümchen mitgebracht. Mit Benjamin Blümchen verführt er nette DDR-Kinder. Die gehen zu ihm nach Haus. In der Höhle des Westonkels geschehen schlimme Dinge: Bussie Bär, der Seilschaftskollege von Blümchen brät den freundlichen Ost- Bummi am Spieß. Das DDR-Kindchen will Bummi helfen und kriegt zwei blau Veilchen verpaßt. Draußen im Osten blüht der Blumenhandel. Drinnen im Zimmer leitet still der Mai die Sehnsucht ins Vergangene. In früheren Herbstzeiten schmückten abgeschnittene Astern den Schreibtisch. Weil sie so schön sind und in Erinnerung an Gottfried Benn, den Dichterheld aller Männer zwischen 15 und 25. Nicht nur Astern, sondern auch Anemonen, Gladiolen, Rosen, Mohnfelder und Crocusfluten finden im Werk des Berliners lobende Erwähnung. Häufig war der Dichter ob der Blumen »erschüttert«. Das »Botanisieren« war im 18. Jahrhundert noch eine der eher ambivalenten Techniken zur Beherrschung der Triebe. Durch »Benennen, Klassifizieren, statt Träumen« (Delaporte) oder durch interessante Analogisierungen — Frau = Blüte = Geschlecht = Gesicht (Linné, Rousseau) — sollte der Sex kontrolliert werden. Die Kontrollversuche führten jedoch zur sexuellen Besetzung des Vegetabilischen. Die bösen Blumen der Dichtermänner des zu Ende gehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts sind angstlüstern verworren. Sehr düster erwähnt Georg Trakl z.B. ein paar »purpurne Blumen«, die, wie die Literaturwissenschaft weiß, im biographischen Zusammenhang mit mancherlei Inzuchtsgeschichten stehen.

Das Bestehen auf saubere und unschuldige Ursprünge, die Abwehr von allerlei Sexgewimmel und die Angst vor unkontrollierten Pollutionen scheinen nicht die geringste Rolle zu spielen, wenn in der Moderne gerade Intellektuelle eher abschätzig von bunten Blumen reden, die manch einem anderen Trost, Hoffnung und hilfreiche Arbeitsstimulanz sind. So ist die Pflanze dem Staatsphilosophen Hegel Sinnbild eines hemmungslosen und sexversessenen Bohèmelebens: »Sie wurzelt ohne selbständige Bewegung und Ortsveränderung fest, sie wächst fortwährend, und ihre ununterbrochene Assimilation und Ernährung ist kein ruhiges Erhalten eines in sich abgeschlossenen Organismus, sondern ein stetes neues Hervorbringen ihrer nach außen hin.« Angesichts der Pflanze, gerät der auf Besitzstandwahrung pochende Denker ins staunende Phantasieren: »Die Pflanze aber wächst ohne Aufhören...« Nur die Blüten retten seinen besorgten Blick, denn die Blüten »tragen das Gepräge regelmäßiger und symmetrischer Bestimmtheit«. Auch Rousseau, der dem animalischen Geschlechtsakt eher ablehnend gegenübersteht (»widerwärtig«), findet nichts »eigenartiger als die Entzückungen, die Ekstase, die ich bei jeder Beobachtung verspürte, welche ich über die pflanzliche Struktur und Organisation machte, und über das Spiel der Geschlechter bei der Befruchtung«.

»Allein die Blumen haben die Zuneigungen des ersten Zeitalters bewahrt«, freute sich im 18. Jahrhundert noch der Schweizer Naturforscher Charles Bonnet. Dies sei jedoch nur falscher Schein und kaschiere die wirklichen Gewaltverhältnisse, erkannten andere. Bernward Vesper, der Mann von Gudrun Ensslin, ging soweit, »Grünzeug« und die seiner Ansicht nach immer latent faschistischen Kleinbürger in eins zu setzen. »Vegetables« nannte er sie wutentbrannt in seinem Politdrogenbestseller die Reise. Wo Vesper angreift, fühlt sich die amerikanische Dichterin Sylvia Plath eher angegriffen: Mohnblüten im Juli sind ihr blutende Münder. Sie wünscht sich, daß sie farblos wären. Vom Mohn im Oktober fühlt sie sich angeschrien und die 12 exaltierten Tulpen eines anderen Gedichts sind zu rot, machen Krach und »essen meinen Sauerstoff«. »Ich wollte keine Blumen.« Nur Gertrude Stein behält einen klaren, fast gleichgültigen Kopf (Rose = Rose).

Alle Schwulen dagegen sind große Freunde des »Grünzeugs«: Proust kombinierte in einer Schlüsselszene seiner verlorenen Zeit das schöne Durcheinander des eher wortlosen Ineinanderfindens zweier Männer, mit dem, was zwischen Biene und Blüte so vor sich geht. Marc Almond ist Chrysanthemen und Rosen in ten years of tears besonders melancholisch wohlgesonnen, das Geschlecht des Mannes sei eine Blume, findet Jean Genet und erst der plötzliche Tod von »Manfred« ließ meinen Hausmeister seine vormals blühende Blütenpracht etwas verkümmern lassen. Solidarisch und etwas struppelig halten seine Pflanzen bei Luft, Liebe und ein bißchen Korn dennoch durch und hoffen auf neue Lebensgefährten.

Lilien, Rosen, Nelken, Fuchsien, Tulpen und Geranien vor allem (Hesse, Pavese) finden sich häufig in der Dichtung des 20. Jahrhunderts. Nur das gelbe Pantoffelblümchen blieb unberücksichtigt.