Vielleicht tät's ein Kindchen ja auch

■ Über die Schwierigkeit, der Blume einen Platz zu geben

Wir fanden

das Wort, das den Sommer heraufkam:

Blume. (Paul Celan)

Viele beschwerten sich über das Wetter. Nörgelnd waren sie auf der Suche nach Eindeutigkeiten: einem herrischem Sommer vielleicht. Statt dessen spielte draußen herbstlich im Frühling das Zwischen. Launisch wußte das Wetter nicht, ob es nun kalt oder warm werden sollte. Unentschlossen, traurig- trotzig fing es an zu regnen. Das freute die Pflanzen. Nachdem kundige Hände die sorgsam umhegten bunten oder schlicht grünen schweigsamen Freunde der Menschen aus ihren Gewächshäusern geholt hatten, freuen sie sich überhaupt an allem und jedem. Lange hatten sie sich auf ihren Einsatz vorbereitet.

Das Wetter dort draußen ist schön. Die Wände im Innern des Zimmers sind scheußlich. Wer mit Farbe versucht, was zu ändern, dem kommt die Wand bröckelnd entgegen. Dann freut sich händereibend der verrückte Hausbesitzer. »Verdrängt« wurde das Naturschöne aus dem Junggesellenhaushalt (Adorno); Blumen gibt es hier nur auf dem Hemd oder Sofa. Selten hilft da der Gang ins Freie, »vergeblich ist meist der absichtsvolle Besuch berühmter Aussichtspunkte, den Prominenzen des Naturschönen«. (Adorno) Die gewinnbringendsten Reisen finden ohnehin im Zimmer statt. (Kafka) Oder im Kopf. Topfblumen müssen her. Flower Power hieß es vor zwanzig Jahren; »Flower Pornoes« nennt sich eine Band der Achtziger. Doch Blumen sind nur als Worte oder Aufdruck beliebt bei den Freunden.

Vor zwei Jahren schon sollten Pflanzen aufs Fensterbrett. Doch das Fensterbrett war schräg, um den Regen herunterlaufen zu lassen. Kein Blumenkasten konnte sich hier festhalten. Blumen jedoch waren nötig. Denn vom Schreibtisch ging der Blick nur aufs Fabrikgebäude. Als da noch jemand wohnte, standen dort auch keine Blumen auf den Fensterbänken, weil die Fensterbänke, um den Regen besser abfließen zu lassen, abgeschrägt waren. Überall in dieser Gegend! Eine Zeit lang entschädigten wenigstens noch ein paar Töne, die von den »Vielklangstudios« herüberschallten, fürs bunt Wachsende. Wenn man in die Fabrikfenster des dritten Stocks sah, konnte man manchmal auch ein paar Künstler zwischen Bildern herumrennen sehen. Danach gingen die duschen. Manchmal trank eine Künstlerin Wodka. Die Künstler malten nur selten in bunten Farben. Seit einem Jahr ist keiner mehr da. Die Miete ist um das Doppelte erhöht worden. Der Vermieter wartet währenddessen auf die Hauptstadt. Polizeisirenen sind das einzige, was noch herüberweht aus benachbarten Bezirken.

Nur einen Farn hatte ich vor zwei Jahren aus einer anderen Wohnung mitgenommen. Mal stand er auf dem Fernseher, mal auf dem Tisch. Wenn ich zu betrunken war, den Rest vom Bier auszutrinken, bekam das der Farn. Das würde ihn stärken. Manchmal bekam er auch Tee. Dann begann er in der Küche traurig seine Blätter hängen zu lassen. Sehr spät bemerkte eine Besucherin, daß man ihm Dünger geben müsse, sonst sei es um ihn geschehen. Eine alte Frau in der Feurigstraße hatte, was der schon bräunlich vermodernde Farn nötig brauchte: »Compo Blumendünger mit Guano flüssig«. Vor ihrer Kasse hingen kleine Zettel, auf denen in altdeutscher Schönschrift ein paar Lebensweisheiten nebeneinanderstanden: »Herzlosigkeit ist der schlimmste Herzfehler«, oder »Was nützt der Tiger im Tank, wenn ein Esel am Steuer sitzt?« In vielen kleinen Blumenläden scheint man auf den Sinnspruch zu setzen. Am Sachsendamm betet man zum Beispiel frech autoritätslüstern: »Lieber Gott hilf mir, mein großes Maul zu halten, bis ich genau weiß, was ich sage!« Ansonsten ist es in den Blumenläden aber sehr schön und kühl, und warmherzig wünschen alte Frauen dem Kunden »viel Freude« an der kleinsten Blume noch. Wer Blumen kauft, hat wenigstens noch den festen Willen, sich zu freuen.

Ganze Tage verzehrte ich mich in Gedanken und Sehnsucht nach ein paar Blumen, auf die ich beim Schreiben gucken könnte. Vielleicht tät's ein Kindchen ja auch. Die haben ja immer so hübsch bunte Sachen an und trotteln so nett durch den Tag. Und erfinden oft auch schöne Wörter. Doch wohin soll man die stellen? Wörter und Kinder fallen vom Fensterbrett ohne Halt. Statt Blumen ins Fenster zu stellen, die verhindern könnten, daß sich die Kindersehnsüchte im Haltlosen verwirrten, setzt der Vater stolz weiße Holzstäbe ins Kinderzimmerfenster.

Um die Farbe des Raums zu verbessern, hingen vorerst jedenfalls zwei bunte portugiesische Plastiktulpen am Fenstergriff. Seit einem Jahr wirkt ihr Gelb und Orange auch schon ein bißchen angegriffen. Es müßte in der Warengesellschaft Möglichkeiten geben, etwas lebendigere Farbe ans Fenster zu holen. Das abgeschrägte Fensterbrett quälte mich. Zunächst dachte ich, daß lange Nägel, ähnlich, wie die, die das Gardinenbrett halten, entsprechend in die Wände des Fensterbretts geschlagen, wohl zur Blumenkastenbefestigung dienen könnten. Bei »Hertie« in der »Hobbyabteilung« gab es so was nicht. Da gab es statt dessen »Blumenkastenhalter«. Doch »Blumenkastenhalter« sind völlig untauglich für den Gebrauch an abgeschrägten Fensterbrettern. »Blumenkastenhalter« sind — immer grüne — Aufhängevorrichtungen, die vielleicht zwar dem stolzen Besitzer oder glücklichen Mieter einer Wohnung, die über einen Balkon verfügt, dienen mögen, nicht aber dem, vor dessen Fenstern sich auch nicht die leiseste Andeutung eines Balkons oder sonstiger Dinge, an denen ein solcher Halter festgemacht werden könnte, finden lassen will. Das Motto der Hertie-Hobby- und Gartenabteilung lautet übigens: »Leben im Einklang mit der Natur«.

Das Leben ist schwierig. Eine ältere Frau im »Bastlerladen« am Mehringdamm, schien meine Probleme zu verstehen. Eifrig nickte sie, als ich ihr erklärte, was ich eben mit diesem langen, kräftigen, nagelähnlichen »Dingsda« wollte, signalisierte fast schelmisch lächelnd, daß meine Pläne durchaus realistisch den anfallenden Problemen gerecht werden könnten und reichte das Gewünschte, daß — zu Hause angekommen — dann doch völlig untauglich war. Ein Anfang allerdings war gemacht. Auch einen Zollstock hatte ich mitgebracht. Damit wurde das Fensterbrett sachkundig vermessen. Ein metallenes Winkelelement, wie man es manchmal benutzt, um ein Regalelement an der Wand zu befestigen, so überlegte ich, würde sicher einen Blumenkasten halten können. Das Winkelelement fand sich bei Hertie dann. Auch viele Blumenkästen gibt es da: weiße aus Plastik, die einen weißgestrichenen Holzblumenkasten imitieren sollen, ganz unverhohlen holzfarben Holz imitierende, einfache grüne, schwarze, dunkelbraune Blumenkästen stehen wartend beieinander. Gekauft wird hier nicht. Denn nur der mittelständische Blumenhandel soll an der Sehnsucht des Großstädters verdienen. Doch ein junger Händler, der fröhlich angetrunken vor einem schönen Büfett stand, dies oder das zu feiern, erklärte, daß es sich für den Kleinhandel nicht mehr lohne, Blumenkästen zu verkaufen. »Die Supermärkte bieten die viel billiger an.« Bei »Euro« müsse es noch welche geben. Oder bei Hertie. Entschuldigend kaufte ich ein paar Blumen in den aktuellen Farben. Modisch scheint ein mattes Brausepulverorange mittlerweile zu sein. Aber Gelb mit ein paar Sprenkseln ist wohl auch »in«. Der Blumenkasten bei Hertie war 80cm lang und sehr schwarz.

Die Winkelelemente taten ihren Dienst und zufällig fand sich vor der Haustür auch noch ein Brett, das an die metallenen Winkel angeschraubt werden konnte, den Blumenkasten zu sichern.

Eher verständnislos reagierten intellektuelle Freunde, als ich immer wieder von meinen Abenteuern zu erzählen begann. »Blumen sind spießig«, hieß es verdrossen. Doch ich dachte nur an den nächsten Morgen. Da hieß es, Blumenerde zu kaufen.