Steril und illusorisch

Iranische Erfahrungen mit dem „islamischen Kino“  ■ Von Reza Allamehzadeh

Vierzehn Jahrhunderte nach Erscheinen des Propheten hat es die islamische Revolution im Iran auf sich genommen, endlich das heilige Bilderverbot des Koran durchzusetzen. Mit zu den ersten Aktionen der damals noch jungen Bewegung gehörte das Abbrennen von Kinos in Teheran und anderen Städten. Die Brandstiftungen erreichten im September 1978 einen Höhepunkt, als das „Rex“ im südiranischen Abadan von religiösen Fanatikern und Khomeini-Anhängern angezündet wurde; sie verschlossen alle Ausgänge des mit 400 Menschen besetzten Kinosaales und legten Feuer. Von den 400 Männern, Frauen und Kindern, die sich dort eingefunden hatten, um einen iranischen Film zu sehen, verbrannten 377 bei lebendigem Leibe. In diesem Kontext sah das iranische Kino der Ankunft der islamischen Revolution entgegen.

Nach seinem Machtantritt 1979 ließ sich Khomeini von engen Beratern überreden, zwei Filme des in den USA lebenden arabischen Regisseurs Mostafa A'ghad anzusehen; beide Filme, The Messenger und Omar Mokhtar, sind Beispiele für aufwendige Hollywoodproduktionen, in denen ein islamisches Thema im Zentrum steht. Wenig später machte Khomeini eine seiner obskuren und orakelhaften Äußerungen, die seinen Ruf als unbestrittener Meister der Doppeldeutigkeiten begründeten: „Wir sind nicht gegen das Kino, wir sind gegen Prostitution.“ Seit diesem Tag versucht die iranische Filmindustrie herauszufinden, was genau der Meister damit gemeint haben könnte. Die orthodoxe Auffassung ist simpel genug: „Wir sind gegen das Kino, weil es Prostitution ist.“ Der zur Zeit gültige Trend in den Regierungsinstitutionen, die die Filmindustrie kontrollieren, läßt den Satz folgendermaßen interpretieren: „Wir sind gegen die Art von Kino, die Prostitution bedeutet, nicht aber gegen ein islamisches Kino.“ Das islamische Regime hat einige Jahre gebraucht, um zu erkennen, daß die Konzeption eines islamischen Kinos illusorisch ist.

Der Direktor der Kulturabteilung in einer der größten Regierungsstellen „für islamische Filmproduktion“, Mohsen Tabatab'i, hat erklärt: „Die beste Definition des islamischen Kinos besagt, daß das Kino in der Propagierung des Islam eine eigene Rolle zu spielen hat — so wie auch die Moschee ihre Aufgabe hat.“ Um dieses Ziel zu erreichen, gibt die Filmstiftung jährlich 25 bis 40 Millionen US-Dollar aus — „zur Förderung des neuen islamischen Films“. Die „Bonyad-e-Mostafazan“ („Stiftung der Schwachen“) besitzt etwa 80 Prozent aller iranischen Kinos. Innerhalb der letzten fünf Jahre wurden im Iran durchschnittlich 60 Kinofilme produziert, und allein Teherans mehr als hundert Kinos werden pro Monat von zwei Millionen Menschen besucht. In den Kinos der kleineren Städte ist der Besuch relativ gesehen sogar noch höher. In einem Land mit 70 Prozent Analphabeten ist das Kino die populärste Form der Unterhaltung. Seine Nutzung als Propagandainstrument ist logischerweise für das gegenwärtige Regime äußerst erstrebenswert. Zusätzlich zu „Bonyad-e-Mostafazan“ hat die Regierung weitere zehn oder fünfzehn islamische Stiftungen gegründet, um die Theorie des islamischen Kinos in die Praxis umzusetzen: Hierzu gehören die „Kunstschule der islamischen Propagandainstitutionen“ und die „Faraby-Stiftung“. Von den 57 Filmen, die 1988 produziert wurden, stammten lediglich 22 von Gesellschaften ohne Regierungsverbindung. Der Löwenanteil des Geldes wird für Filme wie Krieg! Krieg! Bis zum Sieg! ausgegeben, ein Kinogenre, das die Jungen massenhaft zur Aufopferung im iranisch- irakischen Krieg zu bringen versuchte. Andere Filme rechtfertigen islamische Lebensphilosophie und spezifische Maßnahmen des islamischen Regimes, wie beispielsweise den Zwang zur Verschleierung der Frauen oder die Exekution politischer Gegner.

Es gibt drei Genres im iranischen populären Film. Davon ist das originellste und manchmal ausgesprochen witzige das der Wunderfilme, die so schlecht sind, daß sie schon wieder gut sind. Göttliche Intervention spielt in der Dramatik dieser Filme eine Schlüsselrolle, wie beispielsweise in Makhmalbafs Film Two Eyes without Sight. Dort wird die tragische Geschichte eines Jungverheirateten erzählt, der in den Krieg zieht und umkommt. Sein Schwiegervater, der im Dorf als besonders fromm bekannt ist, hat einen von Geburt an blinden Sohn. Mit diesem Sohn pilgert er nach Mashad — dem beliebtesten Heiligtum im Iran — und bindet ihn an das Tor des Schreins; der blinde Sohn kann wieder sehen, eine wunderbare Kompensation für den heroischen Tod des Schwiegersohns.

Dann gibt es die Filme, deren Geschichte in der Zeit des Schahs spielt. Verbrechen zahlt sich nicht aus, lautet ihre Aussage. Dieses Genre ist eine iranische Version des Gangsterkinos, dessen Dramen sich in einer Welt von Verbrechen und Gewalt abspielen, d.h. es geht in den meisten Fällen um Heroinschmuggel.

Das dritte Genre besteht aus dramatischen Erzählungen, für die der irakisch-iranische Krieg den Hintergrund abgibt. Ahmad Hasanis The Epic of Shiller Valley erzählt die dramatische Geschichte eines Revolutionswächters, der zunächst sein Land durch Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Demokratischen Partei Kurdistans zu verraten scheint, die auf der Seite Iraks stehen. Am Ende zeigt sich aber, daß der Protagonist ein Held ist, und die Kurden, die nach Autonomie streben, Verräter an der iranischen Sache sind.

Die Filme aller drei Genres sind mit Propagandabotschaften und Hurrah- Patriotismus vollgestopft. Die Sterilität dieses Kinos hat die Regierung jedoch zu der Einsicht gezwungen, daß das Ganze kein besonders umwerfender Erfolg war. Seit kurzem werden auch „nicht-gläubige“ Regisseure wieder zugelassen, die seit der Revolution nicht die geringste Chance hatten, Filme zu drehen.

Drei Filme, die lange verboten waren, konnten im Rahmen des größten jährlich stattfindenden Festivals des Iran gezeigt werden. Das 7. Fadjer Film Festival wurde im Januar 1989 am zehnten Jahrestag der Revolution in Teheran abgehalten. Alle drei Filme stammen von Regisseuren, die sich bereits vor der Revolution einen Namen gemacht hatten. Daryush Mehrdjui, Regisseur des Films The Cow, dem international wohl bekanntesten iranischen Film, machte seinen ersten Film nach der Revolution bereits 1980. Bis 1989 war The School we Used to Go to im Iran verboten, und zwar nicht, weil in ihm etwa das Regime oder die Prinzipien des Islam kritisiert worden wären — das hätte den Regisseur Gefängnis, Folter und Exil gekostet —, sondern einfach und allein, weil der Regisseur kein Revolutionsenthusiast war. Auch die beiden anderen Filme hatten mit diesem Problem zu kämpfen: Water, Wind, Dust von Amir Naderi, vor kurzem mit viel internationaler Anerkennung bedacht, und Bashoo, the Little Stranger von Bahram Beiza'i; beide Filme, die lange verboten waren, wurden auf dem Teheraner Festival rehabilitiert.

Trotz dieser Lockerungen jedoch hat das Regime den komplizierten Zensurprozeß, dem jeder Film unterzogen wird, nicht verändert. Weiterhin gibt es vier Stadien der Kontrolle:

—Durchsicht des Skripts; jedes Skript wird in zwei Durchgängen von einer Sonderkommission geprüft, zunächst das Exposé, dann als fertig geschriebenes Drehbuch. Offiziellen Angaben zufolge sind der Kommission zwischen 1982 und 1984 1.090 Entwürfe und fertige Drehbücher eingereicht worden, lediglich 188 Vorlagen, d.h. 17 Prozent, wurden akzeptiert.

—Produktionskontrolle; jeder Produzent muß eine vollständige Liste aller an der Produktion beteiligten Schauspieler und Techniker vorlegen. Viele Schauspieler und Schauspielerinnen stehen auf der Schwarzen Liste aufgrund ihrer politischen Haltung, und alle leben in der Furcht vor diesen Schwarzen Listen.

—Überprüfung des fertigen Films; das übelste Stadium islamischer Zensur, in der einer Kommission der fertige Film vorgeführt wird. Diese allmächtige Kommission hat das Recht zu verlangen, was immer sie will, und ist niemandem verantwortlich. Da Korruption, Bestechung und persönliche Rachefeldzüge hier ebenfalls eine große Rolle spielen, ist die offizielle Zensurgeschichte nur die Hälfte der Wahrheit.

—Vertriebskontrolle durch Klassifizierung; jeder Film, der die drei ersten Stadien gemeistert hat, kommt vor eine weitere Kommission, die ihn mit einer Qualitätsmarkierung versieht, die von A bis D reicht; von diesem Buchstaben hängt ab, welche Art von Vertrieb und Werbung dem Film zugestanden wird. Nur ein A-Film darf in den Kinos der A-Klasse gezeigt werden, und zwar für mindestens zwei Wochen; die Karten für diesen Film sind teurer, und es wird im Fernsehen für ihn geworben. Ein D-Film erhält dagegen überhaupt keine Werbung, darf in den großen Städten nicht gezeigt werden und erzielt auch deshalb schlechte Einnahmen, weil die Karten billig sein müssen.

In den letzten zwei Jahren haben die Filmpolitiker versucht, das Image des iranischen Films im Ausland zu verbessern, indem sie ihre Filme auf internationale Festivals schickten. 1989 wurden Organisatoren internationaler Festivals zum zehnten Geburtstag der islamischen Revolution nach Teheran eingeladen. Unter den Besuchern waren die Organisatoren des Londoner Film Festivals, der Filmfestspiele in Cannes, Locarno, Istanbul und des Pyongyang Jugendfestivals. Der Direktor des Locarno-Festivals, David Streiff, schrieb über den Besuch: „Die wenigen Besucher aus dem Ausland wurden mit großer Freundlichkeit behandelt. Man gab uns die Möglichkeit, nach Isfahan zu fahren und anderthalb Tage lang, zum Teil in Sondervorführungen, viele neue iranische Filme zu sehen.“ Streiff revanchierte sich mit der Einladung, Filme für das Locarno-Festival einzureichen; das geschah, und einer der Filme gewann einen dritten Platz. Obwohl der Regisseur dieses Filmes absolut kein Gläubiger im Sinne der islamischen Revolution war und obwohl der Preis nicht mit besonders viel internationalem Prestige vesehen ist, wurde im Iran anschließend großes Theater um ihn gemacht, ebenso wie um einen anderen Film, der bei dem weniger bekannten „Rimini-Festival“ in Italien den ersten Preis gewonnen hatte.

Trotz der niederschmetternden Auswirkungen der islamischen Zensur gibt es im Iran immer noch Regisseure, die weiterhin darum kämpfen, menschlich und künstlerisch wichtige Filme machen zu können. Wenn man das Ausmaß der Repression und der sozialen Kontrolle in diesem Land bedenkt, scheint es fast ein Wunder, daß integre Filmemacher überleben können. Daß sie überlebt haben, ist ein Zeugnis für die ununterdrückbare Kraft und die reiche Kultur der Iraner.

Reza Allamehzadeh war unter dem Schahregime von 1973 bis 1979 im Gefängnis. Er ging 1983 in die Niederlande ins Exil. 1988 führte er Regie in dem Film The Guests of Hotel Astoria.