In Lagos geht der Blues um

Nigerianische Regisseure zwischen Geldmangel und Zensur  ■ Von Dulue Mbachu

Die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in der nigerianischen Kinobranche funktioniert sowohl direkt als auch indirekt. Die nationale Zensurkommission (NCB) hat ihr eigenes Mittel qua Lizensierung, oft wird sie jedoch von den Organen der Staatssicherheit noch überflügelt. (Die NCB kontrolliert Skripte und Exposés natürlich bereits vor Drehbeginn.) Weitere Hindernisse für den nigerianischen Film sind die schlechte Infrastruktur der Filmindustrie, Produktionskosten und die drückenden Unterhaltungssteuern.

Allein 1989 wurden 129 Filme vom Publikationsdirektorium verboten. Der wohl bekannteste Fall von Filmzensur in Nigeria war das Einkassieren des Films Blues for the Prodigal von Wole Soyinka, dem Nobelpreisträger des Landes. Der Film war bereits von der NCB freigegeben, als er am 25. Februar 1985 im Nationaltheater von Lagos auf Anordnung der Militärregierung von Generalmajor Muhammadu Buhari beschlagnahmt wurde. Blues for the Prodigal skizziert die politische Korruption unter Shehu Shagari, einer Zivilregierung, die am 31. Dezember 1983 von Buhari gestürzt wurde. Die Beschlagnahmung zu diesem Zeitpunkt kam überraschend, denn schließlich hatte der Gesichtsverlust dieser Zivilregierung Buharis Machtantritt möglich gemacht. Als der Film nach 35 Tagen schließlich wieder freigegeben wurde, war der Abspann herausgeschnitten.

Soyinka zufolge sollte sein Film ursprünglich den zivilen Widerstand gegen die Shagari-Regierung unterstützen; die Dreharbeiten waren noch in Gang, als Shagari stürzte. Es wurden einige Änderungen vorgenommen, die auf die Neueinsetzung einer Militärregierung anspielten, und der Abspann stellte einige unbequeme Fragen, beispielsweise nach dem Verbleib einiger Politiker, die sich auch nach dem Coup nicht hatten verantworten müssen. Auf diese Weise versuchte der Film, der öffentlichen Mißstimmung über den Militärcoup Rechnung zu tragen. Soyinka hat immer betont, daß seine Fragen an die Öffentlichkeit und besonders die Jugend gerichtet gewesen seien — gewissermaßen als pädagogische Fragen — und nicht an die Militärregierung. Für ihn war die Aktion des Militärs gegen seinen Film ein „Schlag ins Gesicht jedes nigerianischen Künstlers, der versucht, Filme zu machen, die im Gegensatz zu Indianer- und Cowboyfilmen wirklich relevant sind für unser Land“.

Nigerianische Regierungen haben Zensur traditionell auf politisch heikle Filme ausgerichtet und sich mit anderen Genres kaum befaßt. Eddi Ugbomah, ein führender Filmemacher des Landes und von General Babangida, Buharis Nachfolger im Militärregime, zum Vorsitzenden der Nigerianischen Film-Gesellschaft (NFC) gemacht, beklagt die Zusammensetzung und fehlende Kontrolle der Zensurkommission in den letzten sieben Jahren. Ihre Mitglieder werden eher ad hoc aus den verschiedenen Regierungsabteilungen berufen, Beamte des Informationsministeriums, der Kulturabteilungen und Zuständige für Filmgesellschaften. Ugbomah sagt: „Sie sind nur Strohmänner, denn sie wissen nicht einmal, was sie prüfen sollen. Folglich haben sie nur Angst davor, jemanden zu kränken, und tun alles, um bei der Regierung Liebkind zu bleiben. Das schadet uns ganz enorm.“ Als Beispiel zitiert er das Schicksal seines Films The Great Attempt. Es geht in diesem Streifen um Versuche aus dem Ausland, die nigerianische Ökonomie zu zerstören, was durch das Eingreifen der Sicherheitskräfte verhindert wird. Drei Tage lang brütete die Kommission über dem Film. „Der Witz ist, daß diese Leute, die da zusammengewürfelt sind, gar keine Macht haben, irgendetwas zu entscheiden. Sie holen sich also Vertreter der Zentralbank, die sich alles anhören müssen, was über die Zentralbank gesagt wird; sie holen Leute vom SSS (State Security Service), die darauf bestehen, daß ich dies rausnehme und jenes... Nein, sagen sie, warum sollen da fünf SSSler auftauchen und davon ist einer korrupt? Keiner im SSS ist korrupt. Warum zeige ich Polizisten, die Bier trinken? Polizisten trinken kein Bier. Was sie allerdings akzeptieren, ist der Geschäftsmann als Dieb. Für sie sind ohnehin alle Zivilisten Diebe, nur Polizisten nicht und Soldaten... Dann schließlich sagen sie mir, ich müßte den Film noch einmal vorbeibringen, denn inzwischen haben sie jemanden vom Außenministerium angeschleppt, der gucken soll, ob der Film womöglich die USA verärgern könnte — während natürlich in den USA ihr Tarzan alle Schwarzen verprügeln darf...“

Während der Dreharbeiten zu seinem Film Death of a President über den Mord an General Murtala Muhammed, einem der beeindruckendsten Staatschefs, den Nigeria je hatte und dessen Sturz 1976 ein insgesamt verunglückter Coup war, wurde Ugbomah mehrere Male von Geheimagenten verhaftet. Sie wollten wissen, woher er seine Daten habe. Selbst nach dem Kontrolldurchgang bei der NCB und der Premiere des Filmes unter Anwesenheit des Präsidenten Shahu Shagari wurde der Regisseur noch einmal verhaftet, diesmal mit der Begründung, er ermutige durch seinen Film weitere Coups.

Am sensibelsten reagiert die Regierung auf Filme, die sich mit der religiösen und ethnischen Zusammensetzung des Landes beschäftigen. Nasiru Dantatas letzter Film Maitatsine beschäftigt sich mit dem moslemischen Agitator gleichen Namens, der Anfang der achtziger Jahre im Norden des Landes aktiv war. Er verantwortete viele blutige Unruhen, bis er schließlich von der Bundesarmee in die Schranken gewiesen wurde. Bevor der Film gezeigt werden durfte, wurde er sämtlichen Sicherheitsinstitutionen wie Polizei, Geheimdienst und Militär zur Begutachtung vorgelegt; erst dann gab die NCB ihn frei.

Die Filmregisseurin Lola Fani- Kayode ist der Meinung, daß die Art und Weise, wie in Nigeria Filmzensur ausgeübt wird, das Pferd von hinten aufgezäumt wird, solange nicht einmal offizielle Richtlinien und Klassifikationen existieren. „In den Kinos von Ajegunle (Armenghetto von Lagos) sitzen massenhaft Kinder und Jugendliche, die die Schule geschwänzt haben und sich stattdessen Filme ansehen, und zwar alles, was kommt: Pornografie, indische Filme und insgesamt viel Gewaltkino.“

Afolabi Adesanyas Film Vigilante, der sich mit städtischen Lynchmobs beschäftigt, wurde zehn Monate nach Spielbeginn mit der Begründung verboten, er sei zu realistisch. Auch Afolabi fragt sich, welchem Zweck die nigerianische Filmzensur eigentlich dient. „Welchen Sinn hat die Lizensierung durch die NCB, wenn sie gleichzeitig keine Klassifizierungen ausgeben? Wer hat die Aufgabe, die Zuschauer darüber aufzuklären, was ihnen die Filme bieten? Warum gibt es auf den Filmplakaten keine Information über Klassifizierungen? Vielleicht, weil die Elite nicht ins Kino geht, deshalb schert sich keiner weiter darum.“

Die besondere Zusammensetzung des nigerianischen Publikums bringt ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich. Die meisten nicht-englischsprachigen Filme werden in Yoruba gedreht. Von all den vielen ethnischen Gruppierungen des Landes — von 100 Millionen Einwohnern sind 20 Millionen Yorubas — hat diese Gruppe die stärkste Theatertradition, und Filme in Yoruba sind am ehesten kommerziell erfolgreich, da die Yorubas darüberhinaus den Löwenanteil der Kinobesucher stellen. Der durchschnittliche Yoruba-Filmenthusiast ist allerdings fast nur an Magie interessiert. Die für seine Bevölkerungsgruppe produzierten Filme sind jedoch stark von der indischen Filmkultur beeinflußt, die eher dem Phantastischen zuneigt. Ugbomah versucht ein Gleichgewicht herzustellen, indem er für jeden englischsprachigen Film einen in Yoruba macht; nur die ersteren sind jedoch, sagt er, für das Ausland interessant.

Die Regisseurin Lola Fani-Kayode meint, daß die Regierung sich am Ausbau von Vertriebswegen und der Infrastruktur beteiligen sollte, um die Filmindustrie zu fördern. Es sei kein Zustand, daß Filmemacher mit ihren Filmrollen von Ort zu Ort wandern müßten, um wengistens einen Teil des investierten Geldes zurückzukriegen. Wole Soyinka habe in den Siebzigern vorgeschlagen, daß statt des grandiosen und teuren Nationaltheaterbaus in Lagos viele regionale Mehrzweckhallen gebaut werden sollten, in denen nicht nur Filme vorgeführt, sondern auch Hochzeiten gefeiert und Trauerfeiern abgehalten werden könnten. Erst wenn der Gang ins Kino auch ganz praktisch zum Alltag gehöre, würden die Filme ihr Publikum finden. Soyinkas Vorschlag in die Tat umgesetzt, hätte den Weg zum Publikum sehr viel leichter machen können.

Eine ständige Klage nigerianischer Filmemacher ist auch die hohe Besteuerung der Unterhaltungsindustrie. Von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden bewegt sie sich zwischen 20 und 44 Prozent der Einnahmen (Einnahmen, nicht Gewinne!). Lola Fani-Kayode dazu: „Wir mieten einen Saal, verkaufen die Tickets, und dann kommt einer daher und schnappt sich seine Prozente an Steuern, ohne im geringsten in den Gewerbezweig jemals investiert zu haben. Das ist nicht gerade sehr ermutigend.“ Ugbomah fügt hinzu: „In ganz Afrika werden die im eigenen Land produzierten Filme zwei Jahre von der Besteuerung ausgenommen. Die Kinos, die unsere Filme spielen, müssen weniger Steuern zahlen, damit dem afrikanischen Film auf die Beine geholfen wird. Nur in Nigeria ist es genau umgekehrt.“

Mit Ugbomah als Direktor hat die Nigerianische Filmgesellschaft (NFC) ein Entwicklungslabor für Farbfilme gebaut, in dem bis zu 200 Filme pro Jahr entwickelt werden können. Die Regierung hat außerdem eine neu zusammengesetzte Zensurkommission akzeptiert, in der qualifizierte Leute sitzen, die ihrer Aufgabe intellektuell gewachsen sind. Zu Ubgomahs größtem Bedauern jedoch kann die NFC wegen der angehäuften Schulden keine Kredite mehr an Filmemacher vergeben. „Wirklich klein gekriegt hat uns jetzt das Geld“, sagt Afolabi Adesanya. Zwischen 66.000 und 133.000 US- Dollar kostet es inzwischen, einen Film zu machen, und bei den derzeitigen Zinssätzen kann sich kaum einer leisten, so viel Geld für ein Projekt aufzunehmen. Die meisten haben tatsächlich das Filmemachen ganz aufgegeben, und für die anderen geht es, in Lola Fani-Kayodes Worten, „weder vor noch zurück, wir sitzen im Patt“.

Der Autor ist Index-Korrespondent in Lagos.