: Bei der Bahn ist das Neue mehr vom Alten
Statt einheitlicher Verkehrsverhältnisse will Bundesbahnpräsident Heinz Dürr einen profitorientierten Eisenbahngiganten schaffen/ Unternehmer Dürr will einen Konzern leiten und sieht ökologische Verkehrspolitik nicht als seine Aufgabe ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
„Die Eisenbahn ist nicht dazu da, ökologische Strukturpolitik zu betreiben.“ Heinz Dürr, seit Beginn des Jahres Bahnchef, will die Behörde Bundesbahn zu einem Betrieb machen, der Gewinne erwirtschaftet. Doch unter den derzeitigen Rahmenbedingungen schließen sich die betriebswirtschaftliche Logik des neuen Bundesbahnpräsidenten und die umweltpolitisch wünschenswerte Zielsetzung, die Bevölkerung flächendeckend mit der der Dienstleistung preiswerter und ökologischer Verkehr zu versorgen, gegenseitig aus.
Dürr ist Unternehmer und als solcher auf den Top-Job bei der Bahn bestellt worden. Sein erklärtes Ziel ist es, das alljährliche Defizit der Bundesbahn, 1990 waren es 4,965 Milliarden D-Mark, zurückzuzuschrauben.
Dabei verfolgt der Bahnchef — wie gehabt — das Konzept, rentable Strecken auszubauen und unrentable stillzulegen. Nicht viele Reisende, sondern möglichst viel Geld vom einzelnen Passagier sind das betriebswirtschaftliche Ziel. Nicht die Autofahrerin, die Geld sparen möchte, soll die Szene im vollklimatisierten superschnellen Großraumwagen bestimmen, sondern der ehemalige Fluggast mit „expense account“.
Die Logik des Konzepts steht gegen Ökologie
Die Logik dieses Bahnkonzepts reagiert auf die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, und die setzt nach wie vor die Bundesregierung in Bonn: Dazu gehört die bis heute ungleiche Behandlung von Schiene und Straße: Die Eisenbahn muß, anders als ihre Konkurrenten Auto, Flugzeug und Schiff, für ihre Verkehrswege selber sorgen. Dazu gehört vor allem aber auch die indirekte Subventionierung des individuellen Autoverkehrs durch die nicht — beispielsweise auf den Benzinpreis — umgelegten — ökologischen Folgekosten des Straßenverkehrs.
Nur noch drei Prozent aller Fahrten absolvieren die BürgerInnen des alten Bundesgebietes heute mit der Bahn. Sechs Prozent aller Kilometer fahren sie auf den Schienen. Im Güterverkehr sieht die Bilanz nur wenig besser aus. 21,6 Prozent des Güterverkehrs wird heute noch mit der Bahn absolviert — 1968 waren es noch 31 Prozent.
Die Verluste der Bundesbahn stiegen seit Mitte der achtiger Jahre trotz des Abbaus von 80.000 Arbeitsplätzen auf 232.400 immer weiter. Bis zur Jahrhundertwende müßte der Bund nach derzeitigen Planungen für die Deutsche Eisenbahn — einschließlich Reichsbahn — 400 Milliarden D-Mark aufbringen. Die Bundesregierung reagierte auf diese Summen mit dem Angebot, die Kosten für die teuren Trassen zu übernehmen; verband dieses Angebot jedoch mit der Drohung, privatwirtschaftliche Konkurrenz auf den Bahnstrecken zuzulassen.
So zwingt Bonn den Monopolist Bundesbahn, sich aus wohlverstandenem Eigeninteresse selbst die profitabelsten Strecken zu sichern — notfalls mitsamt der Trasse — und diese kostenträchtige Infrastruktur in die neue Aktiengesellschaft Deutsche Bahn zu überführen. Mit einer scharfen Gewinn- und Verlustrechnung werden die Strecken aussortiert, die Geld bringen. Auf den Strecken von München über Frankfurt (und Köln) nach Hamburg sowie den Strecken Köln/Ruhr/Hannover/ Magdeburg/Berlin und Hamburg- Berlin wünscht sich die Bahn Hochgeschwindigkeitstrassen. Die anderen Gleise werden nach dieser Logik leer bleiben.
Genau diese Bahnzukunft hat Heinz Dürr im Kopf, wenn er auf der einen Seite von der Notwendigkeit von Streckenstillegungen redet, auf der anderen Seite aber einen beschleunigten Ausbau der deutschen Teile im europäischen Hochgeschwindigkeitsnetz fordert. Niemand sollte sich also wundern, wenn die Bahn mit einer derartigen Politik nicht der erwünschte Verkehrsträger wird, der die Menschen in Scharen aus ihren stinkenden umweltverschmutzenden Blechkisten auf die Gleise holen kann.
Die Kommunen sollen für neue Provinzbahnen zahlen
Schon in den vergangenen Jahren hat die Bahn 20 Milliarden in den Hochgeschwindigkeitsverkehr investiert. Für die Strecken Hannover-Berlin und Köln-Frankfurt wollen die Bundesbahner bis 1998 noch einml 10 Milliarden ausgeben.
Die Zubringerdienste für die Bahn AG-Trassen würden die Frankfurter Manager nach diesem Modell kleinen Provinzbahnen überlassen, die auch privat oder aber von Kommunen, Kreisen oder den Bundesländern betrieben werden könnten. Nach der Systemlogik müßten diese Gebietskörperschaften dann auch für die Kosten aufkommen: Wer sich Eisenbahnstrecken anschafft, soll auch für ihre Instandhaltung zahlen.
Alternativ könnten die Bahnmanager bei zahlungswilligen Kommunen auch an den Strecken festhalten. Der Bund als bisheriger Hauptsubventionsgeber würde zwar weiter die Rahmenbedingungen bestimmen, wäre aber aus der finanziellen Verantwortung entlassen.
Diesen Pferdefuß haben auch die kommunalen Verkehrsbetriebe erkannt. Ihr Verband Deutscher Verkehrsunternehmen zeigt sich zwar durchaus an der Übernahme einzelner Bundesbahnstrecken interessiert. Bedingung sei jedoch eine „aufgabengerechte Finanzausstattung der Länder und Kommunen“. Insbesondere, so Verbandschef Dieter Bollhöfer, müßten die nichtgedeckten Kosten für die Schienenwege weiter vom Staat, will sagen vom Bundeshaushalt, getragen werden. Noch aber sind Bahn und Bund lange nicht so weit. Der neue Sommerfahrplan bevorzugt zwar die großen Strecken und die Hochgeschwindigkeitstrassen mit den brandneuen Intercity Express (ICE), doch organisatorisch scheint statt des geplanten neuen Unternehmens aber nur ein ungesunder Zwitter herauszukommen.
Selbst Bahnchef Dürr mußte auf der Bilanzpressekonferenz im März zugeben, daß Verspätungen, Personalengpässe bei den Lokführern bei Personalüberhängen in der Verwaltung eine Situation schaffen, die nicht so ist, „daß man über den großen Wurf hätte diskutieren können“. „Betriebsnahe Engpässe“ nennt der Unternehmer Dürr das.
Obwohl also der Service noch nicht ganz stimmt, werden schon jetzt ganz betriebswirtschaftlich Kosten gespart, indem Vergünstigungen für die normalen KundInnen abgebaut werden. Die Benutzbarkeit des Super-Spartarifs — nach dem die Rückfahrkarte zu jeder Stadt im Bundesgebiet 130 D-Mark kostet — wird erheblich eingeschränkt. Er soll an Freitagen und Sonntagen nicht mehr gelten. Der Transport des Fahrrads im Zug wird in weniger statt in mehr ICs und Interregios möglich.
Während sogar der ADAC fordert, die Bahn müsse für Berufspendler attraktiver gemacht werden, wurden jetzt etliche von D-Zügen angesteuerte Kreisstädte vom Schnellzugnetz abgehängt.
„Mehr Kundenfreundlichkeit im Nahverkehr“ hat Dürr zwar postuliert. Doch schon beim Basteln des Sommerfahrplansstehen die S-Bahn und Nahverkehrszüge für 900 Millionen Passagiere im Jahr hintenan. Sie bleiben auf den Strecken stehen, wann immer ein Schnellzug zum Überholen ansetzt.
In den neuen Ländern fährt der Zug in die falsche Richtung
Unbefriedigend sind auch die Ansätze für den ehemals grenzüberschreitenden Verkehr in die fünf neuen Bundesländer. Während sich deutlich neue Pendlerströme von Ost nach West entwickeln, sollen von den 47 Bahnverbindungen, die es vor dem Krieg zwischen Ost und West gegeben hat, lediglich zwölf wiedereröffnet oder modernisiert werden. Der Verkehrsclub der Bundesrepublik Deutschland (VCD) legte dagegen ein Gutachten vor, nach dem die Wiederinbetriebnahme der zehn wichtigsten regionalen Ost-West- Verbindungen mit einem Investitionsvolumen von 500 Millionen D- Mark möglich wäre.
Zu befürchten ist, daß die Bahn bei der rasanten Verkehrsentwicklung von und nach den fünf neuen Bundesländern wieder den Zug in die falsche Richtung nimmt. Sind die Verbindungen erstmal aufgegeben und die Strecken in der ehemaligen DDR stillgelegt, wird die Bahn im Ost-West-Verkehr nie die Transportkapazität haben, um AutofahrerInnen massenweise von der Straße zu holen.
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