KOMMENTARE
: Ladet Gorbatschow ein!

■ Der sowjetische Präsident sollte am Wirtschaftsgipfel der G-7-Länder teilnehmen

Die Gruppe der sieben reichsten Industrieländer (G-7) ist eine geschlossene Gesellschaft. Seit 1977 beraten sich die Regierungschefs der West-Länder USA, Japan, BRD, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada sowie ein Vertreter der EG hinter verschlossenen Türen zu Themen der Weltwirtschaft. Diese Großen Sieben wickeln die Hälfte des Welthandels ab und kontrollieren mehr als 50 Prozent der Weltindustrieproduktion. Nun also will die Sowjetunion, politisch wie militärisch bis vor kurzem eine Supermacht, ökonomisch aber am Rande des Kollapses, am Weltwirtschaftsgipfel der G-7 im Juli in London teilnehmen, um ökonomisch Anschluß an die osteuropäische Marktwirtschaftsentwicklung zu bekommen: Milliarden Dollar westlicher Finanzhilfe sollen den Umbau der Planwirtschaft voranbringen.

Die Bundesregierung unterstützt aus wohlverstandenem Eigeninteresse eine Einladung Gorbatschows zum Gipfel: sie will nicht einzige sein, die an die Sowjetunion Hilfszahlungen leistet. Allein der Überleitungsvertrag zum Abzug der Roten Armee aus Ostdeutschland kostet 16 Milliarden Mark, wenn man realistischerweise davon ausgeht, daß der als Kredit gewährte Teil nicht zurückgezahlt werden kann. Hineinspielen mag auch die Angst, daß bei weiterer Verarmung der Sowjetmenschen die Russen ab 1993, mit Einführung der Reisefreiheit, millionenfach nach Deutschland kommen könnten.

Den USA jedoch ist das eigene Haushaltsdefizit näher als das der Sowjetunion. Im ersten Quartal ist die US-Wirtschaft, die sich seit Mitte 1990 in einer Rezession befindet, um weitere 2,6 Prozent geschrumpft. Konservative Wirtschaftsforschungsinstitute in den USA unterstützen die Skepsis der Regierung von George Bush, Milliarden Dollar in die „korrupte Diktatur des Herrn Gorbatschow“ zu pumpen. Dabei übersehen sie jedoch geflissentlich, daß sich die Sowjetunion nicht erst mit dem Beschluß, ausländischen Investoren 100 Prozent Devisengewinn-Ausfuhr zu gestatten, westlichen Wirtschaftsvorstellungen angenähert hat. Seit dem April-Abkommen zwischen Gorbatschow und den neun unionstreuen Republikchefs hat die Sowjetunion auf verschiedenen Ebenen signalisiert, daß sie bereit ist, westliche Wirtschaftshilfe mit einer marktwirtschaftlichen Schocktherapie zu bezahlen, wie sie der Internationale Währungsfonds kaum härter fordern würde.

In dem Brief an die G-7-Länder hat die Sowjetregierung Mitte Mai vorgeschlagen, daß Experten von Weltbank und Internationalem Währungsfonds die Reformen in der Sowjetunion überwachen sollen. Eine sowjetische Delegation unter Gorbatschow-Berater Jewgenij Primakow brachte der US-Regierung das Konzept für einen neuen Wirtschaftsplan mit, der explizit Privatisierung, freie Märkte und Preisfreigabe als Ziele nennt. Und Grigori Jawlinski, Mitautor des vor einem Jahr noch von Gorbatschow verworfenen 500-Tage-Plans zum Übergang in die Marktwirtschaft, durfte jetzt mit ausdrücklicher Unterstützung des Präsidenten in Harvard genau für das werben, wogegen sich Gorbatschow noch vor wenigen Monaten verwahrt hatte: den Ausverkauf der Sowjetunion an Privatunternehmer.

Selbst der Kommunistenfreundschaft so unverdächtige Monetaristen wie der Harvardprofessor Jeffrey Sachs, der als polnischer Wirtschaftsberater berühmt wurde, argumentieren, daß auch viele Milliarden Dollar Wirtschaftshilfe immer noch billiger sind als die Hochrüstung im Kalten Krieg. Je eher der UdSSR geholfen werde, so Sachs, desto billiger würde es für die westlichen Industrieländer. Die zentrale Frage lautet: Soll die Sowjetunion von der osteuropäischen Integration abgekoppelt werden? Die US-Regierung wird sie kaum mit ja beantworten wollen. In Europa jedenfalls kann niemand ein Interesse daran haben, daß in der Folge der Verarmung die innersowjetischen Konflikte weiter eskalieren und womöglich das High-Tech- Waffenarsenal außer Kontrolle gerät. Ladet also Gorbatschow nach London ein!

Die einzigen, die tatsächlich gute Gründe gegen eine Teilnahme der Sowjetunion am Weltwirtschaftsgipfel hätten, sind die Länder der Dritten Welt: die Probleme der Ärmsten würden dann wohl wirklich nur ganz am Rande diskutiert. Donata Riedel