Primakow: Der Westen soll SU-Reform steuern

Washington (taz) — Durch den Vorabdruck eines an die „Gruppe der Sieben“, d.h. den Klub reichster Nationen, gerichteten Briefes der Gorbatschow-Berater Jewgeni Primakow und Gregori Jawlinski in der 'New York Times‘ vom 30.5. sind jetzt die Umrisse der neuen sowjetischen Kapitalbeschaffungsstrategie deutlicher geworden. Ausdrücklich berufen sich die beiden Experten, die zum Klinkenputzen in den USA unterwegs sind, auf das Abkommen zwischen Gorbatschow und den neuen Republikchefs vom April als Grundlage eines neuen demokratischen Konsenses. Sie nutzen geschickt die Angst des Westens vor der Chaotisierung der nuklearen Supermacht Sowjetunion. Innere Unruhen seien unvermeidlich, wenn die UdSSR ausschließlich aus eigener Kraft, also um den Preis eines extremen Sparsamkeitsregimes, die Umwandlung durchführen müsse. „Verschärft wird die Situation dadurch, daß sich unter diesen Umständen die Kontrolle über eine der größten nuklearen Potentiale der Welt vermindern wird. Dies zu vernachlässigen könnte die Welt wesentlich mehr kosten als die jetzige Unterstützung der Reform in der UdSSR.“ Die Pointe des Briefs liegt in dem Vorschlag, zu einer „effektiven Form der Interaktion“ zwischen der Gruppe der Sieben und der Reformkoalition in der Sowjetunion zu kommen. Die Reichen sollen sich in der Schlußphase in die konkrete Planung des Reformprojekts einschalten und dann einen eigenen Aktionsplan beschließen, der Umfang, Zeitplan, Formen und Kontrolle der Hilfe umfaßt. Der Brief charakterisiert nochmals die wichtigsten Reformelemente — genaue Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der sowjetischen Zentrale und den Unionsrepubliken, rigide Finanz- und Geldpolitik, Preisliberalisierung, Demonopolisierung und eine legale Infrastruktur für den Übergang zur Marktwirtschaft. Er schließt mit der Vision einer stabilen und gerechten Weltordnung, die das Resultat gemeinsamer Kraftanstrengungen sein könnte.

Das State Department scheint die optimistischen Perspektiven der Sowjet-Emissäre nicht zu teilen. Nach einer dreistündigen Unterredung mit der sowjetischen Delegation erklärte Baker, bevor über konkrete Hilfen gesprochen würde, müsse man sichergehen, „daß das Programm auch tatsächlich zu einem marktwirtschaftlichen Status führt“. Der scheidende CIA-Chef Webster gab der UdSSR wie auch ihrem Präsidenten nur geringe politische Überlebenschancen. Die USA scheinen gegenwärtig nicht über mehr verhandeln zu wollen als über die Meistbegünstigungsklausel und den 1,5-Milliarden-Dollar-Kreditwunsch der UdSSR für den Ankauf von Weizen. Die Linie lautet also weiter: erst Reformen, dann (vielleicht) Geld.

Immer wahrscheinlicher wird hingegen die Teilnahme Gorbatschows an der nächsten Konferenz der Siebener-Gruppe. Frankreich, Deutschland und jetzt auch Italien sind dafür, Japan will Gorbatschow nur als Zaungast sehen, die USA haben sich noch nicht entschieden. Alexander Bessmertnych gab in Rom Entscheidungshilfe: Auf dem Gipfel werde es nicht um konkrete Zahlen gehen. C.S.